Endlich sitzen wir wieder auf den Rädern, ohne zu wissen, wo wir heute Abend landen oder morgen aufwachen werden. Ein schönes Gefühl, denn wir fühlen uns direkt wieder viel freier. Das Delta ist wohl eine der besten Regionen zum Radfahren in Südostasien. Kleine, gut ausgebaute Wege, wenig Verkehr, viel Natur, herzliche Menschen und endlich wieder die Möglichkeit zum Zelten.
Uns war vorher gar nicht bewusst, dass sich neben dem Mekong auch der Saigon in mehrere, große Arme aufspaltet, bevor er ins Südchinesische Meer mündet. Ein Teil des Deltas steht noch unter Naturschutz und es gibt hier noch eine große, zusammenhängende Fläche Mangrovenwald, wohingegen sonst meist die Kultivierung die Oberhand gewinnt.
Die verästelten Wurzeln der Mangroven stehen im schlammigen Wasser des Saigons. Bald schon ist allerdings nur noch Schlamm über, denn das Meer zieht das Wasser zurück. Die Bäume sind schmal und grazil, es wirkt fast wie eine Plantage. Zwischen den Mangroven wuchern Farne, riesige Nipapalmenblätter, Lianen und andere Pflanzen. Ab und an ist der Wald so dicht, dass man ins Schwarze schaut.
Ein beständiges, unregelmäßiges Knacken oder Quaken gesellt sich zum Rauschen der Baumkronen im Wind und den zwitschernden Vögeln. In der artenreichen Biosphäre entdecken wir Kreaturen, die uns an eine andere Zeit erinnern.
Mit dem Ende des geschützten Bereiches endet auch der Wald. Am Wegesrand reiht sich nun eine Fischfarm an die andere. Kleine Bambushütten stehen ab und an auf den Dämmen der Teiche und umso näher wir der nächsten Siedlung kommen, desto urbaner wird auch der Straßenrand.
Doch nicht nur die Aquakulturen tragen zum Fischreichtum im Delta bei, es sind auch die vielen Fischerboote, die hier ihr Glück in den Flussarmen bis hin zum Meer versuchen und deren Fang auf den kleinen und großen Märkten angeboten wird.
Ja und schließlich erreichen wir ihn wieder, den Mekong, dem wir bereits in Laos und Kambodscha folgten und der hier durch all die Nebenflüsse sowie Kanäle eine einzigartige Landschaft formt. Der Mekong, die Lebensader einer ganzen Region. Der von den Höhen des Tibet-Plateaus kommt, sich hier in ein riesiges Delta von 40.000 km² auffächert und nach ca. 4800 km ins Südchinesische Meer mündet.
Der Fluss, der nach dem Amazonas, der artenreichsten Fluss der Welt ist. Oder müssen wir hier leider schon wieder schreiben NOCH ist. Das Ökosystem, die Fischbestände und somit eben auch die Lebensgrundlage der Menschen sind bedroht. Zum einen ist es die Überfischung und zum anderen vor allem fragwürdige Dammprojekte, die das Gleichgewicht stören. Die Folgen sind bereits heute zu spüren. Der Wasserpegel liegt während der Trockenzeit bereits unter früheren Werten, es droht die Versalzung. Das International Rivers Network beschreibt die Lage folgendermaßen: „Der Mekong wird langsam zu Tode gewürgt.“ Dabei haben wir noch nicht mal den Müll berücksichtig.
Wir nutzen hier des Öfteren kleine oder größere Fähren, um über die vielen teils riesigen Wasserarme zu gelangen, die sich wie Arterien durch die Landschaft ziehen. Es ist wohl schwer ein Gefühl über die Unmengen an Wasser zu vermitteln, die hier ins Meer münden. Fällt es uns doch selbst schwer, das Ausmaß zu verstehen. Die großen Arme von Saigon und Mekong erinnern uns etwas an die Elbe und da wohl eher an den Wasserstand in Hamburg als in Dresden. Auf unserer Strecke haben wir fünf solcher Mekongarme überwunden und zudem noch all das Wasser der Kanäle und Seitenarme dazwischen.
So schaukeln wir mit dem ein oder anderen Holzkutter auf die andere Seite. Der Kapitän steuert das Boot entspannt zurückgelehnt mit Zigarette im Mund ganz typisch vietnamesisch mit den Füßen. Dabei wird ein kurzer Plausch mit den Gästen gehalten. Die leere Chipstüte fliegt wie selbstverständlich ins braune Wasser.
Das Radfahren im Delta macht uns unglaublich viel Freude. Die kleinen betonierten Wege ohne Verkehr, viel Natur und Wasser um uns herum und überall treffen wir auf herzliche Menschen. Es heißt ja so schön, wie es in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus. Nunja, was sollen wir sagen, es gibt wohl keine andere Weisheit, die uns in diesen Tagen so im Kopf herumschwirrt. Wenn wir an unsere ausgelaugte Zeit vor unserer „Pause“ denken und es mit dem Hier und Jetzt vergleichen, dann können wir nur festhalten, dass die eigene Verfassung jedes Bild zeichnet und die reactio sich so oft an der actio orientiert.
Es ist etwas, was irgendwie allen bewusst ist, aber hier verinnerlichen wir es noch einmal extrem. Es ist erstaunlich, wie die eigene Grundstimmung alles beeinflussen kann, im Guten wie im Schlechten. Es ist eine Erkenntnis, die man mit einem freudigen und einem weinenden Auge betrachten kann. Frei nach dem Motto, wenn es scheiße läuft, läufts scheiße. Aber man hat es, natürlich immer nur bis zu einem bestimmten Grad, eben auch selbst in der Hand, was man daraus macht.
Es wird uns hier noch einmal umso bewusster. Es tut einfach gut wieder auf dem Rad zu sitzen und wir fühlen uns sehr wohl. Entsprechend offenherzig und mit breitem Lächeln radeln wir durch die Dörfer und verteilen xin chào ein nach dem anderen. Das, was wir zurückbekommen, ist ein ebenso ehrliches und warmes Lächeln!
Manchmal dauert es etwas, bis die Verwunderung oder gar Fassungslosigkeit aus den Gesichtern weicht und sich in ein kindliches, freundliches, ehrlich interessiertes Lächeln wandelt. Ab und an bleibt der verdutzte Gesichtsausdruck eingefroren, die uns folgende Kopfdrehung bleibt dann die einzige Bewegung. Manchmal wird unsere, scheinbar komisch klingende, vietnamesische Begrüßungsform mit einem beherzten Lachen quittiert, bei dem man einfach nur mitlachen kann.
Kinder begleiten uns ab und an auf ihren Fahrrädern und präsentieren uns ihre Englischkenntnisse, die jedoch oft nicht über „Whats your name?“ herausgehen. Dafür winken und kreischen sie des Öfteren umso vehementer. Wir erleben es aber auch bei den kleinsten, dass die touristische Radwelt sich noch nicht so ganz bis in die hinteren Ecken des Deltas hineingestrampelt hat. Da kommt es schon mal vor, dass ein kleiner, moppeliger Junge die Hingabe zu seinem Eis vergisst und uns mit offenem Mund und weiten Augen anstarrt, während das Eis sich in der Sonne verselbstständigt.
Eines Abends erleben wir einen kleinen Jungen, der eher das Gegenteil von zurückhaltend ist. Wir bereiten gerade unsere Nudeln zu, als er auf seinem viel zu großen Fahrrad anrollt. Eifrig begutachtet er unser Zelt, welches wir auf dem kleinen Bootsanleger aufgestellt haben. Dann kommt er zu uns und hält uns, mit erhobenem Zeigefinger, einen Vortrag über was auch immer. Dass wir ihn nicht verstehen, wird ihm erst deutlich, als wir ihm, in einem ähnlichen schnellen Tackt, Sätze auf Deutsch entgegenwerfen. Nun gleiten wir in die Pantomime ab und der Eifer des Erkundens wird jetzt auch mit der Nase und dem Gaumen fortgesetzt.
Nachdem er sich an unseren Nudeln im Topf bedient, stellt er aufgeregt fest, dass die noch ganz schön heiß sind. Als wir den Knoblauch anbraten, zeigt er seine Begeisterung über den neuen Duft und wären da nicht die ganzen Mücken, die ihn zu einer kleinen Choreografie verleiten, wäre er wohl noch die ganze Nacht bei uns geblieben. Doch so bedankt er sich für die Portion Nudeln mit der fremden Soße und macht sich auf den Weg nach Hause.
Unsere frisch reparierten Räder lassen uns durch die flache, aber abwechslungsreiche Landschaft des Deltas gleiten. Neben dem Reisanbau wachsen hier auch jegliche Früchte. Die Märkte quillen über mit frischem Gemüse, Obst und vielen, grünen Kräutern. Genau diese Vielfalt erblicken wir auch auf den ganzen Feldern. Hinzu kommen die Kokospalmenplantagen, die uns nicht nur unsere tägliche Kokosnuss liefern, sondern auch etwas Schatten spenden. Wenn wir durch die Plantagen radeln, sind die kleinen Wege vollkommen mit Palmenblättern bedeckt. Auf parallelen Dämmen sind die Palmen reihenweise angeordnet. Ab und an sind die Plantagen geflutet, was der Luft eine weitere Frische verleiht. Manchmal ist das Wasser mit einer grünen Algenschicht bedeckt, was die gesamte Szenerie verwunschen wirken lässt.
Der Abend näherts sich dem Ende, wir begeben uns auf die allabendliche Suche nach Wasser. Wir halten an einem Haus, an dem wir jemanden erblicken und beginnen unsere Vorführung, die mit dem Herauswürgen des Wortes nước beginnt.
Damit wir jegliche Möglichkeiten abdecken, versuchen wir es mit unterschiedlichen Betonungen und Melodien, was jedoch nur selten zum Erfolg führt. Dann deuten wir entweder eine trinkende oder eine sich waschende Geste an und zeigen auf unseren Wassersack oder unsere Flaschen. Vollgetankt geht es im Anschluss auf Zeltplatzsuche. Da das Mekongdelta ziemlich dicht besiedelt ist und auch neben den Reisfeldern viele Flächen unter Wasser stehen, gestaltet sich diese manchmal gar nicht so einfach und wir müssen erfinderisch werden.
Wir versuchen es heute mit einem Palmenwald und begeben uns von der Straße auf einem kleinen Pfad Richtung Fluss. Schon bald entdecken wir auch ein Plätzchen, welches sich gut für unser Zelt eignen würde. Ein einsames Häuschen mit einem nahegelegenen Stall steht neben uns im Palmenwald, der angenehmen Schatten spendet.
Das Haus wirkt urig, der uns aus Nepal bekannte, angenehme Geruch von Speisen, die auf dem Feuer zubereitet werden, strömt aus der Küche. Wir fragen nach, ob wir eine Nacht im Wald nebenan campieren dürfen. Der Opi ist zunächst zwar etwas verwirrt, willigt dann aber ein, als wir ihm die Übersetzung vorspielen.
Bevor unser Zelt steht, rattert schon das nächste Moped in Richtung Haus. Auch sein Sohn oder Schwiegersohn gibt sein okay. Wir räumen alles ein und fangen an unser Süppchen zu kochen. Es ist bereits stockdunkel als auch die Frau nach Hause rattert. Wenig später kommt sie mit der Taschenlampe vorbei und schaut neugierig, was wir so kochen. Vermutlich hat sie Sorge, dass wir nicht satt werden, denn sie bietet uns auch noch Com (Reis) an. Wir bedanken uns herzlich.
Als wir gerade die letzten Löffel verdrücken wollen, kommt noch ein Moped angerattert. Wer hätte gedacht, dass unsere Vorführung heute nicht die letzte bleibt. Nachdem die zwei Provinzpolizisten noch nicht mal vernünftig grüßen können, passt es ihnen anscheinend nicht in den Kram, dass wir hier zelten wollen. Jedenfalls schlussfolgern wir das aus unserer Google Unterhaltung. Wir lassen das Essen stehen und gehen mit den beiden zum Haus, wo wir ja vorher extra nachgefragt haben. Raus kommt dabei allerdings aufgrund der Sprachbarriere und der Sturheit der beiden Männer absolut nichts.
Während wir mit der Frau noch nach der richtigen Übersetzung suchen, sitzen die zwei Möchtegern-Kommissare feuchtfröhlich am Küchentisch und schaufeln sich einen Witz nach dem anderen hin und her.
Zurück an unserem potenziellen Schlafplatz wird uns dann die Nichte der Frau per Handy zugeschaltet, die glücklicherweise sehr gutes Englisch spricht. Wir erzählen ihr, was wir hier machen und versichern auf ihre Nachfrage, dass Moskitos absolut kein Problem für uns sind. Sie erzählt uns noch von einer giftigen Schlange, auf die wir aufpassen sollen und sagt noch einmal, dass wir hier gern schlafen können. Zwischendurch bietet uns die Frau noch an, dass wir auch gern im Haus duschen dürfen.
Doch diese Rechnung haben wir wohl alle ohne die zwei Kostümierten gemacht. Plötzlich denken sie sich noch ein paar Geschichten aus, dass hier angeblich nachts in dieser Sackgasse, wo kein Schwein ist, irgendwelche Menschen Sachen stehlen und sie ja die Verantwortung für uns tragen. Bla, bla, bla. Kann ja alles sein, aber unseren Vorschlag, dass sie uns ja einfach ihre Nummer geben können, für den Fall der Fälle, finden sie auch nicht gut und erzählen einfach noch ein paar Märchen mehr.
Das Ende vom Lied ist, dass wir all unseren Kram tatsächlich wieder einpacken dürfen und den beiden auf ihrem Moped durch den stockdunklen Wald nachrattern müssen. Natürlich dämmert uns längst, was hier vor sich geht, auch, wenn die Dämmerung längst vorüber ist. Wir rufen schonmal vorsichtshalber ein Gästehaus an, ob wir vielleicht irgendwo unser Zelt aufstellen können.
Nach fünf Kilometern durch die Nacht dann der Beweis. Wir erreichen ein ranziges Nhà Nghỉ, aus dem ein nicht gerade vertrauenswürdiger, dickbäuchiger Herr tritt. Die „Polizei“ stoppt und will uns in die Absteige verfrachten, für die sie vermutlich eine schöne Provision kassieren. Hier endet dann anscheinend auch der angebliche Polizeischutz. Mit einem knappen Tạm biệt machen sie sich aus dem Staub. Schönen Dank auch!
Wir haben es geahnt und radeln genervt bis zum Gästehaus, welches wir in weiser Voraussicht angerufen haben. Fragen uns dabei die ganze Zeit, ob irgendwer die Polizei gerufen hat oder sie uns auf unserem Weg beobachtet haben. Letztlich landen wir im Garten der Vila Basi und schlafen doch fast noch unter Palmen. Was für ein Abend oder wie heißt es so schön: Ende gut, alles gut!
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Hallo ihr lieben Radler,
wenn ich schon mal die Chance habe, den allerersten Kommentar zu schreiben, werde ich das auch nutzen. Wir freuen uns für euch, dass eure Räder repariert sind und ihr wieder radeln könnt. Daheim in Terpitzsch liegt noch Schnee und heute ist, organisiert vom Feuerwehrverein, Christbaumverbrennen. Außerdem hat die Oma ihren 91. Geburtstag. Ich müsste Beurteilungen schreiben, komme aber irgendwie nicht dazu. Genießt weiterhin dieses riesige Delta und bleibt schön gesund. Herzliche Grüße von Carola