Iran, das heißt auch Vielvölkerstaat. Auch wenn man vielleicht zuallererst an Persien denkt, leben doch neben den Persern (~61 %) noch die Azeris (~16 %), Kurden (~10 %) Luren (~6 %), Belutschen (~2 %), Turkmenen (~2 %), Araber (~2 %) und viele andere ethnische Minderheiten hier. Eine Vielfalt, die sich auch im Kulturreichtum des Landes wiederspiegelt. Unsere Reise führt uns nun also in das wunderbare, wilde Kordestān. Traumhafte Berge und Menschen, denen die Herzlichkeit gegenüber ihren Gästen überaus wichtig ist.
Auch wenn es in Iran nur eine relativ kleine Provinz mit dem Namen Kordestān gibt, erstreckt sich das Gebiet, in dem man sich als Kurde oder Kurdin bezeichnet auf eine weitaus größere Fläche.
Wir erreichen Bukan, die wohl erste größere, kurdische Stadt auf unserer Reise. Auf dem Weg hier her konnten wir schon die Veränderung des Kleidungsstils beobachten. Die typischen Pumphosen werden immer häufiger von den Männern getragen, die selbstverständlich auch hier die obligatorische Gebetskette ununterbrochen und ganz selbstverständlich durch ihre Hand gleiten lassen. Auch die Kleidung der Frauen wird zunehmend farbenfroher und blumiger.
Es ist Vormittag und wir suchen uns ein schattiges Plätzchen im Stadtpark von Bukan um zu frühstücken. Um uns herum wird auf den Parkbänken getuschelt, gelächelt und immer wieder herüber geblinzelt. Aufregung liegt in der Luft. Dann kommt ein junges Mädchen auf uns zu und spricht uns in perfektem Englisch an. Ihre Tante da drüben auf der Bank habe sie angerufen, Touristen seien in der Stadt, sie solle sofort in den Park kommen. Etwas später sitzen wir mit der halben Familie auf der Wiese und machen Picknick. Die Scheu ist gewichen, auch die älteren Männer drehen sich nun zu uns und rufen uns zu sich heran, sie wollen kurz „Hallo“ sagen. Um uns herum wird es immer voller. Was für ein herzliches Willkommen in Kordestān.
Auch aus der Stadt heraus wird es nicht weniger herzlich. Immer wieder winken uns die Kurd:innen wie wild aus den Autos heraus oder halten direkt vor uns an, um ein Foto mit uns zu schießen, sich zu bedanken und dann weiterzufahren. Als die Stadt hinter uns liegt, kommen wir dann wieder etwas schneller voran und lassen die Mittagspause nach dem ausgedehnten Frühstück heute ausfallen, da wir später bei Mortezas Familie zu Gast sein werden und nicht allzu spät ankommen wollen.
Die Stadt Saqqez erstrahlt am Nachmittag in hellen Sandtönen, umrahmt von malerischen Hügeln vor uns. Die Gassen sind aufgrund der Hitze um diese Zeit wie leergefegt und so erreichen wir ziemlich schnell das Haus der Familie. Morteza begrüßt uns herzlich und wir springen erst einmal in die wohltuende Dusche, bevor wir seine Eltern und seine Schwester kennenlernen.
In der Sonnenuntergangstimmung gehen wir aufs Dach. Schnell wird eine Schaumstoffmatte ausgerollt und auch die Slippers für das Überqueren des kleinen Bereichs zwischen Tür und der Schaumstoffmatte liegen schon bereit. Auch wenn Morteza nicht streng gläubig ist, die Tatsache, dass man überall außerhalb des Hauses Schuhe trägt, außer man ist auf einem Teppich, ist wohl tief in ihm verwurzelt. Genauso gehört es dazu, die extra vorgesehenen Slippers im Badezimmer zu tragen. In einem islamischen Land würde wohl nie jmd. auf die Idee kommen das Badezimmer barfuß zu betreten.
Wir machen es uns auf dem Dach gemütlich und genießen die Abendstimmung. Am Horizont sehen wir schon die kurdischen Berge und Morteza erzählt uns mit strahlenden Augen von seinen leidenschaftlichen Wanderausflügen und Winterexpeditionen mit seinem Bruder und seinen Freunden. Später gesellen sich seine Schwester und eine Nachbarin zu uns. Sie kommen direkt vom Nachbargebäude über die Dächer rüber. Wir knacken Sonnenblumenkerne und plaudern herzlich.
Als wir am Abend mit dem Auto eine Runde durch die Stadt drehen, erleben wir ein ganz anderes Saqqez. Es ist jetzt rappelvoll und auf jedem erdenklichen Grünstreifen wird gepicknickt. Eine herrliche Stimmung.
Zuhause erwartet uns noch ein leckeres, von der maman zubereitetes, Abendessen und natürliche eine köstliche, frische hendawāne (Wassermelone), bevor wir auf dem Teppich schlummern.
Langsam sind auch wir vertraut mit den iranischen Schlafgewohnheiten. Oft wird am Abend einfach eine dünne Matratze oder gar nur eine Decke auf dem Teppich ausgebreitet. Ein Kissen für den Kopf und eine weitere Decke zum Zudecken dürfen natürlich auch nicht fehlen und fertig ist das iranische Bett. Zumindest bis zum Morgen, denn dann wird alles wieder im Schrank verstaut.
Am nächsten Tag schlendern wir über den bazaar von Saqqez. Ein orientalischer bazaar ist für uns immer wieder ein ganz besonderer Genuss. Das bunte Treiben in den kleinen Gassen, mal überdacht, mal mit Teppichen behangen. Bunte Obst- und Gemüsestände säumen die Straße. In der nächsten Gasse Teppiche, Tücher und dann Läden mit allen möglichen Dingen, die es ebenso gibt. Gerüche führen unsere Nasen zu den leckersten Ständen mit Gewürzen, Nüssen und Trockenfrüchten.
Hatten wir in Tabriz noch das Gefühl, dass man als Tourist:in eher einen höheren Preis zahlt, so müssen wir hier fast darum betteln, für die Einkäufe überhaupt bezahlen zu dürfen. Oft stoßen wir dabei auf Ablehnung und wir sollen dies als Geschenk doch einfach annehmen. Aber auch im Annehmen muss man sich eben erst einmal üben.
Auch der Geldtausch, den man im Iran am besten auf der Straße bzw. dem bazaar tätigt, ist immer wieder ein Erlebnis. Meistens fragen wir uns durch bis wir bei den Geldwechslern angekommen sind. Dann wird über den Kurs verhandelt, wofür wir die Website Bonbast nutzen, die den aktuellen Eurokurs anzeigt und die den meisten Iranis bekannt ist. Passt der Kurs für beide Seiten werden die Geldbündel aus der Hosentasche gekramt und die sehr geschwinde Zählerei auf iranische Art geht los. Im Anschluss zählen wir dann im Schneckentempo auf deutsche Geldzählart zweimal nach und fertig ist der Geldtausch. Es kann auch schonmal passieren, dass das ganze Prozedere in einer zuschauenden Menschentraube stattfindet wie z.B. in Saqqez, als wir unser Geld bei einem Mann namens Cowboy tauschen.
Es ist wohl die Entscheidung, die uns in der letzten Zeit am schwersten gefallen ist. Immer wieder haben wir von der wunderschönen, kurdischen Bergwelt gehört. Alle haben uns diese malerische Route empfohlen. Die armenischen Berge in den Beinen und die Strapazen im Kopf, waren wir uns doch sehr sicher erst einmal auf größere Bergetappen verzichten zu wollen. Doch umso näher wir den Bergen kommen, desto eindringlicher werden die Rufe. In letzter Minute entscheiden wir uns also doch noch dafür und so biegen wir in Saqqez in Richtung Marivan ab!
Aus einer hügeligen Landschaft mit Feldern werden schon bald schroffe Felsen. Wir begegnen Hirten mit ihren Kuh-, Ziegen- und Schafherden und staunen darüber, dass hier die Getreidefelder noch mit Sense und Rechen abgeerntet werden. Wir durchqueren kleine Dörfer und finden schönste Plätze für unser Zelt in der traumhaften, wilden Bergwelt. Wir sind ca. fünf Kilometer von der irakischen Grenze entfernt. Es heißt in diesem Gebiet seien unzählige Schmugglerstraßen auf denen vor allem Alkohol, der in Iran verboten ist, über die Grenze gebracht wird. Auch uns wird er während eines Selfiestopps angeboten. Entgegen dem Kaukasus reicht hier aber eine einfache Verneinung und ein entsetzter Blick, um sich dem hochprozentigen, selbstgemachten Schnaps zu entziehen.
Vor uns liegt Marivan und als es eigentlich nur noch bergab gehen sollte, kommt Wind auf, der uns so kräftig entgegen bläst, dass wir sogar bergab in die Pedale treten müssen. Selbst als wir 90 Grad nach Westen abbiegen, hilft uns das nicht, denn der Wind dreht sich mit uns. Radfahren ist auch ein bisschen Kopfsache, denn fühlten wir uns nach dem Pass schon halb in Marivan angekommen, so sind wir jetzt umso erschöpfter und genervter, dass wir doch nicht so richtig vorwärts kommen. Dazu kommt Staub und Sand, der in der Luft liegt und uns jetzt um die Ohren und in die Augen fegt. Umso näher wir der Stadt kommen, desto dichter wird der Smog der Abgase und auch die Selfiestopps häufen sich, wobei uns mit der Zeit nun wirklich jegliche Kraft zum Lächeln in der glühenden Sonne fehlt. Wir checken in einem alten Hotel ein und genießen die Ruhe. Nach einer kalten Dusche sieht die Welt schon wieder ganz anders aus und so können wir uns doch nochmal in das abendliche Bazaartreiben stürzen.
Der Weg von Marivan nach Paveh ist dann wohl dieses unglaublich schöne Stückchen Erde, was uns alle empfohlen haben. Es geht zwar kräftig bergauf, aber wie so oft ist man angespornt durch dieses unglaubliche Panorama. Wie aus dem Nichts radeln wir auf einmal in eine Schlucht und ab da kommen wir aus dem Staunen über das Naturschauspiel nicht mehr heraus. Am Abend stellen wir unser Zelt vor einer Felswand auf und warten bis der Vollmond hinter den Bergen aufgeht. Einer solcher Momente, der einen die unendliche Freiheit einer solchen Reise spüren lässt.
Hinzu kommen diese gemütlichen, pittoresken Bergdörfer, wie beispielsweise Uraman Takht, die hier in die steilen Felswände gebaut wurden. Es ist ein wunderbares Bild. Wir sind einfach nur glücklich, dass wir uns für diesen Weg entschieden haben, auch wenn wir dieses Mal Hilfe bei der Entscheidung brauchten.
Wir starten am frühen Morgen, die ersten Sonnenstrahlen kommen so langsam über den Berg, die Luft ist noch angenehm, das Leben in den kleinen Dörfern erwacht ganz langsam. Die Landschaft hat noch mehr zu bieten, sie ändert sich erneut und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Weil heute Freitag ist und viele Iranis unterwegs sind kommen wir auch aus dem in die Selfiekamera grinsen nicht mehr heraus. Als wir zum Beispiel ein Foto vom grün strahlenden See machen wollen, dauert es keinen Augenblick bis mehrere Autos anhalten und mit uns ein Foto schießen wollen. Natürlich immer in Verbindung mit den uns meistgestellten Fragen: „Woher kommt ihr? Seid ihr verheiratet? Habt ihr Kinder? Was denkt ihr über Iran? Wie gefällt euch Iran?“ Die Anzahl der Iraner:innen, die uns in solchen Fällen umgeben, kann man jedoch nicht auf die bloße Anzahl an Sitzplätzen eines Autos reduzieren.
Es wird Mittag und die Sonne brennt immer mehr, doch ein Platz im Schatten ist einfach nicht zu finden. In bewohnten Gebieten wird ab und an Wasser auf die staubige Straße gespritzt. Der Geruch und die Schwüle, wenn Wasser Staub auf den heißen Boden bindet, liegt in der Luft.
Vor uns erstreckt sich ein See, doch die Abkühlung bleibt uns verwehrt, denn selbst wenn wir irgendwie den steilen Hang hinunterkommen würden, wäre es wohl nicht gern gesehen bzw. verboten, dass wir darin baden gehen und schon gar nicht als Frau und Mann zusammen. Dies ist der erste Moment, wo uns das so richtig stört.
So schön die Felsenlandschaft auch ist, so ermüdend ist doch die heiße Sonne. In der Nachmittagshitze stehen zum ersten Mal 50 °C auf dem Fahrradthermometer und wir finden einfach keinen Platz im Schatten. Wir haben uns wohl noch nie so sehr über einen Tunnel gefreut wie hier. Selbst die Straßenhunde sind für ihr Mittagsschläfchen dorthin geflüchtet. Aus dem Stausee wird hinter der Mauer ein wunderschöner Gebirgsfluss, der leider hinter Stacheldraht und Zäunen für uns unerreichbar bleibt.
Dann finden wir doch noch ein einziges Bäumchen mit etwas Schatten. Daneben ist eine zerfallene Hütte, aus der ein Soldat herauskommt. Etwas später sollen wir in die schattige Hütte kommen und die beiden netten Männer servieren uns Cay, Melone und Kekse. Es weht sogar eine leichte Brise. Angenehm!
Auch am Abend sind die Temperaturen noch an die 50°C und vor uns liegt die nächste serpentinenreiche Bergfahrt, doch Energie haben wir nicht mehr. Wir schrauben uns schwitzend Serpentine für Serpentine in der heißen Luft nach oben, um nur noch irgendwo einen Platz für unser Zelt zu finden, was in dem steilen Terrain schier aussichtslos scheint.
Irgendwann fährt ein Auto an uns vorbei, dreht auf der Straße und kommt direkt auf uns zu. Die Familie begrüßt uns herzlich und möchte uns zu sich nach Hause einladen. Wie immer lehnen wir das Angebot in Taarofmanier erstmal ab, obwohl wir wohl am liebsten sofort eingewilligt hätten. Nach dem mehrmaligen Ablehnen wird uns aber schnell klar, dass diese Einladung sehr ernst gemeint ist. Wir fragen, wo wir denn hinfahren sollen und uns wird gesagt, dass das Dorf nur fünf Kilometer entfernt ist. Wir sind zwar im Eimer, aber fünf Kilometer bergauf bis ins nächste Dorf können wir sicher noch mit ein paar letzten Kraftreserven schaffen. Als wir die Adresse dann aber im GPS haben, werden wir eines Besseren belehrt. In Wirklichkeit ist das Dorf nämlich ganze 18 km entfernt und wir müssten noch über 1.000 Höhenmeter strampeln. Es ist kurz vor 18 Uhr und in diesem Fall müssen wir leider realistisch sein, denn das können wir heute einfach nicht mehr schaffen.
Die Familie lässt aber nicht locker. Nach einem ewigen Hin und Her mit googli, Händen und Füßen, unserem rudimentären Türkisch und Farsi, versuchen wir uns an den PKW zu hängen, was natürlich nicht funktioniert. Der Familienvater Ahmed läuft zu einem nahegelegenen Militärstützpunkt, um uns ein Auto zu organisieren. Er kommt zurück und sagt, dass wir die Räder einfach da stehen lassen und morgen abholen sollen. Das ist natürlich nicht so unbedingt das, was wir wollen. Irgendwann sagen wir, dass wir einfach versuchen werden, irgendwie ins Dorf zu kommen und radeln weiter, auch wenn uns dies recht aussichtslos scheint.
Ein paar Serpentinenkurven weiter versuchen wir dann ein fahrradmitnahmetaugliches Auto anzuhalten, aber der Opi hat wohl eher gedacht, dass wir wissen wollen, ob wir in die richtige Richtung fahren, denn er nickt zwar lächelnd, fährt dann aber ohne uns weiter. Wenige Minuten später rollt uns ein Auto entgegen, auf dessen Beifahrersitz Ahmed breit grinsend sitzt und stolz verkündet, dass er eine „machina“ für uns gefunden hat.
Kurze Zeit später stehen wir mal wieder völlig überwältigt von der Herzlichkeit und diesem krassen Einsatz uns zu helfen hier in Iran auf der Ladefläche eines Pickups zwischen unseren Rädern und Taschen und düsen in der warmen Sommerluft die Serpentinen hinauf, bis wir kurz vor der Stadt Paveh in einem gemütlichen Dörfchen am Haus der Familie ankommen.
Nach einem wohltuenden Hamam (Dusche) sitzen wir auf den Teppichen der Terrasse mit Blick auf die Berge, unterhalten uns mit googli und trinken Tee. Nach und nach trudelt die ganze Familie ein und es werden immer mehr liebe Menschen um uns herum. Irgendwann werden wir in das Wohnzimmer geholt und es ist eine lange Tafel auf dem Boden aufgebaut. Chochmase!
Nach dem Essen geht es wieder auf die Terrasse, die Wasserpfeife wird angezündet, später gibt es noch Melone. Die ganze Familie ist beisammen und es ist eine so heitere Stimmung. Sie sagen uns, dass sie hier fast jeden Abend so zusammensitzen.
So wunderbar es in Kordestān auch ist und so herzlich wir von den meisten Menschen hier empfangen werden, eine Sache bereitet uns dann doch immer wieder etwas Bauschmerzen. Wenn wir erzählen, dass wir aus „Alman“ sind, wird dies oft mit großer Freude aufgenommen. Ab und an kommen dann in einem zweiten oder dritten Satz die Worte „Arier“ und „gleiche Rasse“ vor. Allein diese Worte lösen bei uns ein pures Entsetzen aus. Manchmal wird dann noch „Hitler – good“ dazugefügt. Spätestens jetzt sind wir sprachlos. Einmal wird uns auch Stolz „Mein Kampf“ auf Farsi aus dem Regal geholt. Es ist beängstigend und wir wissen nicht wie wir damit umgehen sollen. Wie immer sind das natürlich nicht alle Kurd:innen, die so denken, doch es passiert so auffallend oft, dass wir es schockierend finden. Auch wenn bei schockierenden Dingen weniger Momente reichen, um es im Gedächtnis zu verankern. Das Thema beschäftigt uns.
Wir hoffen, dass die Menschen einfach nicht so mit der deutschen Geschichte vertraut sind und es ist natürlich auch so, dass wir in dieser Hinsicht sehr sensibel sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass die kurdische Gesellschaft unter all den Unterdrückungen leidet, dass man sich nach jemanden sehnt, der ihre Kultur anerkennt. Nach genauerer Recherche stellen wir fest, dass der Begriff „Arier“ frühzeitliche Volksgruppen der indogermanischen Sprache, wie sie beispielsweise in Iran vertreten waren, bezeichnet. Dürfen wir es den Menschen also übelnehmen, einen Begriff zu verwenden, der schon ewig existiert und durch Nazideutschland missbraucht wurde? Wir sind zu dem Entschluss gekommen, ja das dürfen wir in dem Fall, wenn der Begriff in Verbindung mit dem Schauzbartträger auftritt.
Später in Iran stellen wir leider fest, dass dieser Hype nicht nur auf die kurdische Region begrenzt ist.
Kordestān, das ist ein Gebiet ohne Grenzen, wären da nicht die Grenzen. Die Volksgruppe der Kurden ist verteilt auf mehrere Länder. Hauptsächlich leben die Kurden im Osten der Türkei, dem Nordirak, in Nordsyrien und im Nordwesten von Iran. Ihr Status ist von Land zu Land unterschiedlich und reicht von autonomer Region bis zur maximalen Unterdrückung. In Iran gibt es die Provinz Kordestān, die bei weitem nicht das Siedlungsgebiet abdeckt. Es heißt wohl auch, dass sich die Kurden hier nicht so frei entfalten können. Neben der unterschiedlichen Ethnie mag wohl auch die Konfessionszugehörigkeit einen Ausschlag dafür geben, dass sich Kurden unterdrückt fühlen. Im Gegensatz zum schiitisch geprägten Iran gehören die Kurden größtenteils den Sunniten an. Auch wir spüren immer wieder den Unabhängigkeitswillen der Menschen und den Wunsch nach mehr Toleranz gegenüber ihrer Kultur.
Außerdem haben die Kurden ihre eigene Sprache, die sich zwar am Persischen orientiert, aber doch manchmal ganz anders ist. Wir erfahren auch, dass sich selbst die kurdische Sprache in mehrere Gruppen unterteilt. Neben drei großen Sprachgruppen über das gesamte kurdische Gebiet, ändert sich die Sprache manchmal von Stadt zu Stadt. Diese Individualisierung der Kultur finden wir auch in der Kleidung wieder. Uns wird erzählt, dass es zwar eine typische kurdische Kleiderordnung gibt, doch die jeweiligen Farben und Bedeutungen unterscheiden sich doch deutlich von Region zu Region.
Der kurdische Kleidungsstil der Männer besteht aber im Allgemeinen nahezu immer aus den weiten Bundhosen, einem Tuch über dem Bauch als Gürtel und des Öfteren einem fransigen Turban auf dem Kopf. Wer sich noch traditioneller kleidet, trägt ein farblich zur Hose passendes westenähnliches, langärmliches Oberteil ohne Knöpfe über einem Hemd. Die kurdische Kleidung der Frauen sticht vor allem durch die Vielfalt der bunten Farben hervor. Auch die Art das Kopftuch zu tragen ändert sich. Die traditionellen Kleider voller Glitzer konnten wir leider nur auf dem bazaar und im Schrank bestaunen. Einen schwarzen Tschador sieht man hier so gut wie nie.
Als wir auf dem Weg nach Saqqez, bei einer kleinen Pause von einem Opi zum Picknick auf der Motorhaube eingeladen wurden, wollte er uns direkt mit zu sich nach Hause nehmen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch gute 300 km bis Kermanshah waren, meinte Kianosh wir schnallen die Räder einfach aufs Dach und im Handumdrehen hatte er auch schon einen kleinen Bindfaden bereit. Lachend und nicht wissend, wie ernst die Sache mit dem Bindfaden eigentlich gemeint ist, lehnten wir ab. Wir tauschten die Nummern und meinten, dass wir uns melden, falls wir doch noch nach Kermanshah fahren, denn eigentlich lag es nicht auf unserem Weg, denn wir wollten ja ursprünglich nicht durch die Berge. Doch da es stets anders kommt als gedacht, rasen wir nun mit Rückenwind auf Kermanshah zu. Dieser Wind, Freund und Feind des Radelns.
Desto näher wird der Stadt kommen, umso mehr Anrufe haben wir auf dem Handy. Kianosh ist wohl sichtlich aufgeregt, ob denn auch alles gut geht und ob wir sein Haus auch finden werden. Als wir ankommen ist der große Tisch bereits gedeckt und die ganze Familie trudelt nach und nach ein. Wir werden direkt ins Hamam gesteckt. Hinter der Tür des kleinen Bades hören wir die Familie schnacken. Es scheint als habe Kianosh alle mit seiner Aufregung angesteckt. Als wir wohlgesonnen das Hamam verlassen, wird unsere Radkleidung direkt in die Waschmaschine gesteckt und ein lustiger Abend beginnt.
Der liberale Hauch, der uns hier um die freien Haare weht, ist sehr erfrischend. Zum Abendessen gibt es sogar einen kleinen Schluck gegorenen Traubensaft. Es herrscht eine angenehme Stimmung und immer wieder wird die Liebe der Familie zu Musik und Tanz spürbar. Das sieht man nicht nur an den Handyvideos des letzten Festes, sondern auch daran wie auch schon die kleinen Kinder zum Tanzen animiert werden. Die ganze Familie tanzt dabei freudig schnipsend und klatschend im Kreis.
Ein wunderbarer Abend geht zu Ende, das Haus leert sich wieder, nur Kianosh, seine Frau und Enkelin bleiben mit uns hier. Wie breiten uns die kleine Matratze aus und fallen überglücklich in den Schlaf.
Kermanshah ist die vorerst letzte größere kurdische Stadt auf unserer Reise. Wir genießen den Trubel der Millionenstadt und vor allem das Treiben auf dem bazaar. Wobei man eigentlich nicht von dem einen bazaar sprechen kann. Über die Stadt verteilt entdecken wir immer wieder neue bazaare. Da ist zum einen zum Beispiel der stimmungsvolle, überdachte Obst- und Gemüsemarkt um die Ecke und ein paar Straßen weiter dann der Goldbazaar mit ganz viel Schmuck, gefolgt von einem mit traditioneller Kleidung und dann sind ja auch noch all die Straßen mit den unterschiedlichen Kunsthandwerken, wo man den Arbeitern noch über die Schultern schauen kann.
In besonderer Erinnerung wird uns wohl der freundliche Schuhmacher bleiben, der in einer Seelenruhe unsere guten Lederschuhe mit Nähmaschine und Hand wieder zusammengeflickt hat. Es fällt uns immer wieder positiv auf, dass die Dinge hier häufig repariert werden und nicht direkt zur Neuware gegriffen wird.
Ein für uns sehr beeindruckendes Kunsthandwerkes sind die von Hand geknüpften Teppichbilder. Die unglaublich detaillierten Bilder aus Seide werden hier oft neben den Teppichen ausgestellt.
Außerdem erblicken wir die ersten architektonisch-orientalischen Schätze, die schon fast künstlerisch wirken. Vor allem die türkisblauen Keramiken der Gebäude entzücken uns immer wieder. In dem Takiyeh Moaven ol-Molk, einem islamischen Schrein, wurden mit unzähligen individuell bemalten Fließen (Fayencemalerei) Geschichten für die Ewigkeit konserviert.
Ach und dann gibt es ja auch noch die vielen farbenprächtigen Moscheen, die besichtigt werden wollen, wenn sie denn geöffnet sind. Denn dies ist doch schwieriger als gedacht. Oft stehen wir vor verschlossener Tür und es gibt nur ein ein- oder zweistündiges Zeitfenster, um einen Blick hineinwerfen zu können. Natürlich bei jeder ein anderes.
Wir verlassen die kurdische Region und sind so glücklich, dass wir diesen Weg eingeschlagen und nicht zu sehr auf unsere Waden gehört haben. Rückblickend bleibt uns vor allem die besonders stark ausgeprägte Gastliebe im Gedächtnis.
Wir haben so etwas an vielen Kleinigkeiten gemerkt. So konnten wir beispielsweise in Kordestān nicht einmal ohne ein Gespräch beim Bäcker anstehen. Wobei anstehen auch nicht wirklich passt, denn oft wurden wir von den wartenden Menschen direkt vorgelassen und schlussendlich auch noch mit dem leckeren Brot beschenkt. Nun stehen wir wieder öfter brav in einer Schlange an. Das heißt keineswegs, dass wir jetzt nicht freundlich begrüßt werden, aber doch spüren wir eben einen kleinen, aber feinen Unterschied.
Es war uns einfach eine riesige Freude durch Kordestān zu radeln!
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