Schon allein die Tatsache, dass Indonesien aus über 17.000 Inseln besteht, lässt vermuten, wie enorm vielfältig die hiesige Landschaft ist. Doch auch der Pazifische Feuerring, der als die geologisch aktivste Zone der Welt gilt, erstreckt sich entlang des Archipels. Kein Land der Erde weist eine derart hohe Vulkanaktivität auf wie Indonesien.
Wir genießen einen letzten Smoothie aus dem Mixer von Harry’s Ocean House in Pacitan, bevor unser Minibus nach Malang auch schon vor der Tür steht. Unser, auf eine sehr beschauliche Menge geschrumpftes, Gepäck ist schnell verstaut und zu unserer Überraschung werden wir heute die einzigen Fahrgäste sein. Trotz der absoluten Beinfreiheit können wir die achtstündige Fahrt wohl insgesamt eher als filmreif statt bequem bezeichnen.
Zunächst führt sie uns an atemberaubenden Schluchten entlang und durch wunderschöne Landschaft, wo wir bei jedem steilen Anstieg froh sind, gerade nicht auf dem Fahrrad sitzen zu müssen. Die hohe, vulkanische Aktivität hat dem Land ein einzigartiges und dramatisches Erscheinungsbild verliehen.
Hinter der Bergkette senkt sich das Terrain. Umso flacher es wird, desto unausstehlicher wird auch die Fahrweise unseres Fahrers, der die meiste Zeit damit beschäftigt ist, Videos von unserer Fahrt zu drehen. Immerhin lässt er dies zumindest vor den Kurven sein. Dafür rast er aber gern hautnah an Mopeds, Rädern usw. vorbei. Der Gegenverkehr erscheint uns auch nicht unbedingt vertrauenswürdig. Da freut man sich fast, wenn man mal im Stau landet und die Fahrzeuge nicht überholen oder rasen können. Wir sind jedenfalls froh, als wir am Abend endlich in Malang ankommen und steigen ziemlich gerädert aus.
Wir laufen direkt zu Adi, einem Warmshowers-Host, den wir bereits im Vorfeld zwecks unseres nötigen Visaruns und dem Unterstellen unserer Räder kontaktierten. Die Idee mit der Versendung unseres Hab und Guts kam uns ja erst später. Adi begrüßt uns ebenfalls recht verschlafen. Bald darauf sitzen wir mit einem verdünnten Zuckerwasser im Garten seiner Familie, der auch als Restaurant dient. Seine kleine Cousine lutscht neben uns einen Zuckerlolly und bestaunt uns interessiert. Adi hat bereits viele Radfahrer*innen beherbergt. Uns lächeln einige bekannte Gesichter aus der Radreisecommunity von den Fotos entgegen. Auch er hat den großen Traum, eines Tages auf eine längere Radreise gen Europa, also in eine ihm unbekannte Welt zu starten. Bis es so weit ist, holt er sich die Welt einfach nach Hause.
Nach ein bisschen Smalltalk zeigt uns Adi unser Zimmer. Plötzlich wird uns bewusst, dass wir durch das Versenden unserer Sachen überhaupt nicht mehr ausgestattet sind. Weder unser Moskitonetz noch unsere Schlafsäcke haben wir bei uns. Als uns Adi mitteilt, dass heute Abend noch sehr viele Leute hierherkommen werden, um gemeinsam zu beten, denken wir über die Flucht nach. Nun ist uns auch klar, warum die Frauen und er ganz aufgeregt in der Küche werkeln und weshalb er nicht so ganz im Hier und Jetzt scheint.
Wir nehmen all unseren Mut zusammen und sagen Adi, dass es vielleicht besser ist, wenn wir uns ein Homestay suchen, da wir morgen früh zeitig in Richtung Bromo aufbrechen wollen. Das fühlt sich auf der einen Seite dann irgendwie doof an, weil wir ihn natürlich nicht vor den Kopf stoßen wollen, aber letztlich ist es ja auch gut ehrlich zu sein. Wir haben einfach nach der langen Fahrt und mit unseren vollen Köpfen keine Energie für einen solchen Abend. Er versteht uns sehr gut und wir verabreden uns für nach dem Bromo. Wir laufen durch die Dunkelheit und suchen uns währenddessen ganz unkompliziert eine Unterkunft, die in Sekundenschnelle gebucht ist. Ein Hoch auf die Technik. Dort angekommen gehen wir nur noch auf Essenssuche und fallen ins Bett.
Was den Bromo angeht sind wir vor allem eins, planlos. Wir wissen nicht so ganz, wohin wir genau wollen und welchen Weg wir wählen sollen. Außerdem ärgern wir uns, dass wir uns nicht vorher informiert haben. Aber so ist das eben, wenn Energie und Motivation dazu fehlen. Mit eher schlechter als rechter Stimmung laufen wir am Morgen also erstmal zum Mopedverleih, den uns Adi empfohlen hat. Was wir jetzt für ein Moped aussuchen sollen oder benötigen für die Tour? Keine Ahnung! Im Endeffekt erwischen wir aber einen der wohl besten und bequemsten Scooter, die wir in Südostasien je hatten.
Wir starten in Richtung Berge durchs Stadtgewimmel von Malang. Die Straßen werden zunehmend kleiner, leerer und vor allem steiler. Mit zunehmender Höhe steigen auch unsere Motivation und Abenteuerlust. Immer mehr Felder umgeben uns, die wie unzählige Puzzleteile an den steilen Hängen wirken. Wir düsen über eine schmale Straße hindurch. Links und rechts von uns geht es steil bergab. Da kommen direkt Nepalgefühle hoch.
Indonesien, ein Land im sogenannten „Feuergürtel“ des Pazifiks, ein Land voller Kontraste und natürlicher Schönheit. Von Vulkanen geformte Inseln und abwechslungsreiche Landschaften aus steilen Gipfeln und tiefen Kratern.
Wir erreichen den Bromo Tengger Semeru Nationalpark. Die Straße windet sich immer weiter nach oben durch immergrüne Regenwälder. Die Jalur Evakuasi Schilder, die an den Stränden Indonesiens auf die Evakuationsrouten im Falle eines Tsunamis aufmerksam machen, tragen hier ein Vulkanbild. Eine Erinnerung daran, dass wir uns in einer Region mit intensiver tektonischer Aktivität befinden. Immer wieder kommen uns Jeeps auf der Straße entgegen. Boten dafür, dass es sich beim Bromo um eines der bekanntesten Touristenziele Indonesiens handelt.
Oben angekommen blicken wir auf ein grünes Tal, was an Zentralasiens Weiten erinnert. Die bekannte Melodie des Eismopeds holt uns aber schnell wieder in die indonesische Realität zurück. Schon bald finden wir uns auf einem Sandweg wieder und bahnen uns unseren Weg durch den sogenannten „Sea of Sand“. Die zunehmend abenteuerliche Rutschpartie mit dem Scooter durch die Vulkanasche endet in einer skurrilen und unrealen Mondlandschaft. Immer wieder halten wir an und bestaunen das irre Szenario, welches den dampfenden Vulkan umgibt.
Wir beziehen das letzte Homestay in Richtung Viewpoints am Berg und machen uns nach dem Abstellen unserer Sachen am Nachmittag direkt wieder auf den Weg zurück zum bekanntesten Vulkan des Nationalparks, dem Bromo. Der Name „Bromo“ leitet sich vom hinduistischen Gott Brahma ab, der als einer der wichtigsten Götter im Hinduismus gilt. In der Region leben die Tengger, ein indigenes Volk, das hinduistischen Glaubens ist. Aus diesem Grund ist der Vulkan nicht nur geologisch bedeutsam, sondern auch kulturell. Er wird von den Tengger als heilig angesehen. Jedes Jahr findet dort z.B. ein großes Festival statt, das sogenannte Yadnya Kasada, bei dem Opfergaben in den Vulkan geworfen werden, um die Götter zu besänftigen.
Unser Plan, den aktiven Vulkan ohne Massen aus der Nähe zu bestaunen, geht scheinbar auf. Der Parkplatz ist wie leergefegt und außer uns sind nur wenige Menschen unterwegs. Nach einem kurzen Fußmarsch und ein paar Treppenstufen stehen wir auch schon am Kraterrand. Schwefelduft liegt in der Luft. Wir spüren das Brodeln im Erdinneren förmlich. Unsere Füße vibrieren. Es ist schon ein verrücktes Gefühl direkt in so ein Naturschauspiel hineinzublicken. Eine Mischung aus Faszination und Ehrfurcht, ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit des einzelnen Menschen im Angesicht der unermesslichen, geologischen Kräfte der Erde.
Zurück in unserem Zimmer heißt es nun nur noch kalt duschen und versuchen einzuschlafen. Um 3 Uhr klingelt der Wecker. Kopi dulu und raus in die Dunkelheit. An den kleinen warungs entlang der Straße wackelt es schon überall. Kleine Feuerschalen lodern, um etwas Wärme zu erzeugen. Uns wird vom Hochlaufen warm.
Die Ersten sind wir allerdings nicht. Es sitzt bereits ein indonesischer Quatschclub mittleren Alters am sogenannten King-Kong-Viewpoint. Wir positionieren uns daneben und warten, bis endlich die Sonne aufgeht. Es füllt und füllt sich um uns herum. Der Foto- und Videoboom beginnt bereits vor dem ersten Licht. Es ist wirklich krass, was hier abgeht. Die meisten Menschen lassen sich nachts mit dem Jeep auf den Berg fahren und laufen dann von der anderen Seite direkt zu den verschiedenen Viewpoints. Sobald die drei Vulkane, dann schlussendlich komplett im Tageslicht erstrahlen, verschwindet die Meute und man sieht alle Jeeps zum Bromo kurven. Der Parkplatz von gestern ähnelt von weitem einem regelrechten Ameisenhaufen. Umso glücklicher sind wir darüber, dass wir uns den Bromo am gestrigen Nachmittag aus der Nähe angeschaut haben.
Als es sich lichtet, wird es hier oben auch immer entspannter. Wir lassen uns Zeit mit dem Abstieg und genießen weiter unten noch einmal die Aussicht. Die Wolken über der Tengger-Caldera lösen sich nach und nach in Luft auf. Ein wirklich einzigartiges und wundervolles Szenario.
Da das Wetter heute noch ziemlich ungemütlich werden soll, machen wir uns nach dem Frühstück direkt auf den ca. 50 km langen Heimweg. Im grünen Tal verfolgen uns die Wolken regelrecht. Wieder zurück auf der Asphaltstraße düsen wir heute durch eine wolkenverhangene Landschaft ohne viele Aussichten. Dank des Freitagsgebets sind die Straßen recht leer. Eine Moschee in einem Dorf ist so voll, dass die Gebetsteppiche fast bis auf die Straße ausgerollt werden. Die Rückfahrt zieht sich und so langsam kommt bei uns die Müdigkeit durch.
In weiser Voraussicht haben wir uns vorher ein Homestay für die nächsten zwei Nächte gebucht. Doch aus unserer Entspannung wird leider nichts. Das Zimmer neben uns wird gerade gebaut, ein Bauaufzug fabriziert nervige Geräusche und die hiesige Moschee ist mit so vielen Lautsprechern versehen, dass die Gebetsaufrufe auch wirklich bis in jede Ecke dringen.
Statt Mittagsschläfchen spazieren wir also durch die kleinen, gemütlichen Gassen von Malang. Auch den nächsten Tag nutzen wir zum Schlendern durch die vielseitige Stadt. Es gibt jede Menge zu entdecken. Sehr moderne Viertel, die uns an Europa erinnern, treffen auf das typisch indonesische Gewusel. Ein besonderer Blickfang ist der kampung Warna Warni in Jodipan (dörflicher Stadtteil mit dem Namen warna warni – Farben bunt).
Jodipan ist ein ehemaliger Slum, der als Sozialprojekt gegen die Müllverschmutzung des Flusses mit bunter Farbe bemalt wurde, um Einnahmen durch den Tourismus für die Bewohner*innen zu erzielen. Neben den bunten Farben gibt es auch „upcycling“ Kunst aus Plastikmüll, die zum Nachdenken über die Müllproblematik im Land anregen soll.
Später treffen wir uns noch einmal mit Adi, der uns Pasta und seine berühmten Pancakes zubereitet, auch wenn wir nicht mit dem Rad gekommen sind. Nach einem schönen Nachmittag verabschieden wir uns von ihm und hoffen sehr, dass wir ihn eines Tages als Reisenden in unserem Zuhause begrüßen dürfen.
Marielle und Henning [unterwegs_daheim_], ebenfalls ein Radreisepärchen, haben ein Spendenkonto „Tailwind for Adi“ eingerichtet, damit auch er irgendwann die Möglichkeit hat, seinen Traum von einer Fahrradreise in Europa zu leben und Geld für Flüge, Reisepass und co zu sparen. Er, der sein Zuhause und Essen seit Jahren immer wieder mit Menschen aus aller Welt teilt, ohne etwas dafür zu erwarten. Falls auch du ihm dabei helfen möchtest, seinem Traum ein Stück näher zu kommen, kannst du dich gern an dieser wunderbaren Spendenaktion beteiligen (Hier klicken für Spendenlink).
Das Enddatum unserer Visa rückt immer näher und wir müssen bald ausreisen aus Indonesien. Unser Zug gen Norden fährt früh am Morgen in Malang ab. Kurz nach 5 Uhr stehen wir am Bahnhof und gegen 9 Uhr sind wir auch schon in Surabaya angekommen und atmen die Smogluft der zweitgrößten Stadt Indonesiens ein. Eine Sache, die wir definitiv nicht vermisst haben!
Von hier aus werden wir unseren Visarun nach Malaysia und wieder zurück nach Indo starten. Doch bis unser Flug bevorsteht, müssen wir noch zwei Nächte hier verbringen. Also heißt es Zeit totschlagen, essen und Kaffee trinken. Wir sind überfordert und irren ziellos umher. Den restlichen Tag verbringen wir matschig im Hotelzimmer. Zwischendurch bemerken wir glücklicherweise noch, dass unsere Unterkunft am Flughafen, keinen Shuttleservice um die Zeit anbietet, wo wir eigentlich einen benötigen. Wir stornieren kurzerhand und fahren am nächsten Nachmittag durch den Stadtverkehr zu einer anderen Unterkunft. Die Nacht ist durch die laute Straße nebenan allerdings eher kurz und wir bereits um 4 Uhr auf dem Weg zum Flughafen.
Nachdem wir unsere Ausreisestempel im Pass haben, beantragen wir online direkt die neuen Visa, heben ab und landen in Kuala Lumpur am altbekannten Konsumflughafen in Kuala Lumpur. Von da aus steigen wir ganz unkompliziert in den für Malaysia typisch gut organisierten Zug und sind wenig später auch schon in Cyberjaya.
Als erstes fällt uns die saubere, frische Luft auf. Mit dem WLAN im Zug bestellen wir noch schnell einen Grab Fahrer zum Bahnhof und landen später an zwei Wolkenkratzern mitten in der Mittagssonne. Unser Zuhause für eine Nacht. Sogar mit bekannter Nachbarschaft, denn unsere Radlerfreunde Marc und Juli, die wir in Thailand an der Mosaic School kennenlernten, wohnen auch hier, was natürlich kein Zufall ist.
Sie kommen gerade von einem Heimaturlaub aus Deutschland und setzen von hier aus ihre Radreise gen Singapur fort. Wir verbringen einen entspannten Tag mit leckerem Essen, Pool, Sauna und natürlich jede Menge Reisegeschichten zusammen. Am nächsten Morgen heißt es dann leider schon wieder Abschied nehmen. Allerdings sind wir uns sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Wann und wo auch immer.
Als wir am späten Abend wieder in Surabaya landen verspüren wir leichten Stress. Wir haben bereits ein Ticket für den Nachtzug in Richtung Bangyuwangi. Das Zeitfenster ist eigentlich groß, aber da man ja nie weiß, was einen an der Passkontrolle oder im indonesischen Straßenverkehr erwartet, drücken wir lieber etwas aufs Gas.
Am Ende geht alles gut und wir sind eine gute Stunde vor Abfahrt am Bahnhof. Unsere Tickets haben wir online gekauft, an einem Schalter scannen wir sie ein und drucken unseren Boarding Pass aus. Dann warten wir. Erst kurz bevor der Zug einfährt, werden die Tore zum Gleis geöffnet.
Im Zug ist es eiskalt! Die Klimaanlage ist wohl auf einer Standardeinstellung für die heißen Nachmittagsstunden. Wir ziehen alles an, was wir hier haben und wickeln uns mit der ausgeteilten, kleinen Decke ein. Im Schaukeln des Zuges dösen wir ein.
Doch viel Schlaf bekommen wir nicht. Es ist schon verrückt, wie manche Menschen einfach bei jeglichen Bedingungen schlafen können. Drei, vier Reihen hinter uns ertönt ein extrem lauter Wecker, doch die Person reagiert überhaupt nicht. Als wir sie mehrfach rütteln, erwacht sie endlich, schaut uns nur verdutzt an und dreht sich wieder rum. Wir wissen nicht, ob die Frau ihren Ausstieg verpasst hat oder den Wecker einfach nur so gestellt hat…
Noch vor Sonnenaufgang erreichen wir den Bahnhof in Genteng, Java Timur – Ostjava. Die Paketstation der JNE öffnet erst gegen acht, also setzen wir uns übermüdet in den Wartebereich des Bahnhofs und warten bis der Tag anbricht. Anschließend lassen wir uns mit einem Gojek Taxi zur JNE bringen.
In der Paketstation begutachten wir freudig unsere Pakete. Es ist alles da und der äußere Eindruck wirkt gut. Wir fragen, ob wir die Räder hier zusammenbauen dürfen und so basteln wir kurze Zeit später in der Lagerhalle der JNE an unseren Rädern. Um uns herum herrscht das rege Treiben eines Cargo Services. Mehre Mitarbeiter wuseln um uns herum. Pakete werden verteilt, hin und her geschoben oder geworfen. Ab und an kommt ein neuer Mitarbeiter verwundert an uns vorbei und kann sich sein Lächeln dabei nicht verkneifen.
Vor uns liegen ca. 40 Kilometer bis zu unserer nächsten Surfdestination, Pulau Merah – die Rote Insel. Zurück auf den Rädern hat sich der Gemütszustand trotz der Pause nicht geändert. Es macht einfach gerade keinen Spaß zu radeln. Die Sonne brennt, es ist schwül, wir sind vollkommen übermüdet und der Verkehr tut sein Übriges. Die Etappe ist zum Glück nur kurz und am Nachmittag haben wir es auch schon geschafft und sitzen mit unseren Surfbrettern wieder im indischen Ozean.
Am Abend sind wir in freudiger Erwartung einer erholsamen, schlafbringenden Nacht, doch die Rechnung geht nicht auf. Heute ist Eid al Adha, das Opferfest und das bedeutet, dass wie bei fast jedem islamischen Feiertag, die Lautsprecher der Moscheen im Dauereinsatz sind. Es wirkt, als gehe die Welt unter, wenn gerade niemand irgendetwas in das Mikrofon kreischt. Am nervigsten sind die quietschenden Kinderstimmen, die einfach nur in das Mikrofon brüllen. Immerhin bleiben uns blutige Anblicke irgendwelcher Schlachtungen erspart.
Am darauffolgenden Tag erlischt der Muezzin Ruf und die abendlichen Gesänge werden diesmal durch kratzende Bässe einer riesigen Hochzeit ersetzt…
Einzig die Tatsache, dass wir am nächsten Tag nicht radeln müssen, erheitert unsere Gemüter. Stattdessen können wir uns erneut in die klaren und definierten Wellen stürzen. Die Locals sind wieder einmal freundlich und verbreiten eine angenehme Stimmung im Wasser. Mit uns sind drei, vier Kinder im Wasser, die eine Welle nach der anderen abreiten. Doch nach einiger Zeit ertönt eine schrille Pfeife vom Strand und die Kleinen paddeln zurück.
Wir lernen den Lifeguard Suyet kennen. Er erzählt uns, dass er aufpassen muss, dass die Kinder es nicht übertreiben. Wenn er sie nach ein paar Stunden nicht rausholen würde, wären sie bis zur totalen Erschöpfung im Wasser. Wir können es nachempfinden und Suyet wahrscheinlich auch. Denn auch er ist leidenschaftlicher Wellenreiter und dieser Sport bringt eben einen gewissen Suchtfaktor mit sich.
Er erzählt uns, dass er früher eine lokale Abfallorganisation geleitet hat. Ein Projekt, dass durch eine internationale NGO ins Leben gerufen wurde. Suyet war für die Organisation vor Ort verantwortlich. Er teilte Arbeitskräfte ein, erstellte Pläne, kümmerte sich um die Transportwagen und die Verarbeitung des Mülls. Die Organisation bezahlte den Lohn der Arbeiter*innen und die Unterhaltungskosten. Für ihn blieb das übrig, was durch den Verkauf des Mülls erwirtschaftet wurde.
Doch mittlerweile ist er in seinem wohlverdientem Halbruhestand. Er arbeitet jetzt noch ein wenig als Lifeguard und kümmert sich um den Surfverleih. Es ist nicht so stressig und anstrengend, wie sein alter Beruf. Außerdem ist er so die ganze Zeit, da wo er am liebsten ist, am Meer und in den Wellen!
Als wir wieder auf den Rädern sitzen, spüren wir direkt die pure Anstrengung. Die Sonne brennt, der Wind bläst uns natürlich entgegen und wir haben schlicht keine Lust mehr. Man könnte sagen, die Luft ist einfach raus. Zu viel haben wir erlebt, unsere Köpfe platzen vor Eindrücken und unsere Beine vor Anstrengung. Wir haben uns am Anfang der Reise gefragt, ob man denn irgendwann einmal keine Lust mehr auf das Reisen haben wird. Nunja, zumindest haben wir in diesem Moment erst einmal genug und wollen eigentlich einfach nur noch ankommen und die Räder erst einmal in die Ecke stellen. Doch bis zu unserem Ziel auf Sumbawa ist es noch ein Stück. Es motiviert uns jedoch, dass dieses Ziel immer näherkommt.
Am heutigen Tag quälen wir uns die gut 50 Kilometer gegen den Wind in Richtung Nordosten und erreichen am Abend völlig ausgelaugt das Homestay. Was in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen können, ist ein völlig überdrehter Besitzer, der schon unser Ankommen mit dem Handy festhält und noch bevor er uns überhaupt „Hallo“ sagt, die Linse direkt in unsere Gesichter klebt. Er macht seinen Beruf halt mit Leidenschaft, aber uns geht es da wohl gerade eher wie der Tochter, die augenverdrehend zurück ins Wohnhaus geht…
Nach einer Dusche sieht die Welt schon anders aus. Wir sind zwar ziemlich im Eimer, aber das Angebot von Ali und Amel, sie heute Abend zu einer Hochzeit in der Nachbarschaft zu begleiten, wollen wir uns nicht entgehen lassen. Bim bekommt vorher noch schnell einen sarong umgewickelt und nach einem kurzen Fußmarsch durchs Dorf stehen wir auch schon vor dem Festzelt unserer ersten, javanischen Hochzeit. Nach ganz viel Händeschütteln sticht uns als erstes ein großes Buffet ins Auge, von dem wir uns nun bedienen sollen. Makan dulu!
Wir nehmen uns etwas und setzen uns erstmal an den Tisch. Natürlich ist längst allen aufgefallen, dass bule angekommen sind. Aufregung liegt in der Luft und die ersten Selfies mit uns werden bereits geschossen. Das ist aber nichts im Vergleich zum Schicksal des Brautpaares, welches auf einer kitschig geschmückten Bühne die ganze Zeit für Fotos mit allen posieren und Händeschütteln muss. Auch wir reihen uns bald für das obligatorische Foto mit dem Brautpaar ein und bedanken uns dafür, dass wir unbekannterweise Teil ihrer Hochzeit sein dürfen.
Besonders interessant und spannend ist der Blick hinter die Kulissen, denn bei einer javanischen Hochzeit hilft das ganze Dorf mit. In einer temporären Küche hinter dem Festzelt wird Essen zubereitet, was das Zeug hält. Auf der Bühne geben währenddessen Sängerinnen abwechselnd indonesische Songs zum Besten. Wir setzen uns mit ins Publikum, lauschen der Musik und lassen die javanische Hochzeit auf uns wirken.
Zum Abschied bekommen wir, wie jeder Gast, noch eine Tüte mit Geschenken als Erinnerung überreicht. Auch wenn wir vorhin total müde und erschöpft waren, so sind wir doch froh, dass wir die beiden begleitet haben. Was für ein Erlebnis und was für ein Tag schon wieder.
Nach Frühstück und Abschied geht es für uns zunächst über kleine Straßen durch kampungs und co. bis wir am beeindruckenden Fischereihafen von Muncar landen. Die Männer erzählen uns, dass gerade libur (Urlaub) ist und deshalb vor allem Arbeiten an den Booten stattfinden können, weil sie nicht raus aufs Wasser fahren. Wir beobachten das bunte Treiben an diesem interessanten Ort eine ganze Weile.
Die Straßen werden im Tagesverlauf immer voller. Wir erblicken erste Hindutempel, die auf die Nähe zu Bali deuten. Doch bevor es für uns auf die nächste, indonesische Insel geht, wollen wir uns die Vulkanlandschaft im Osten von Java und den berühmten Kratersee des Ijen noch aus der Nähe anschauen.
Als Ausgangspunkt für unsere Tour haben uns Catrin und Mat ein Homestay in Banyuwangi empfohlen. Auf dem Weg dahin müssen wir noch unser Gesundheitszertifikat für die Besteigung des Ijen abholen. In der kleinen „Klinik“, die eher an eine Praxis erinnert, füllen wir ein Gesundheitsformular aus und nach Blutdruck messen, wiegen und Bezahlung sind wir auch schon fertig. Nun dürfen wir offiziell den Gipfel erklimmen.
Doch bevor es heute Nacht los gehen kann, müssen wir noch ein paar andere Dinge besorgen. Den Scooter leihen wir uns direkt von Juda, dem entspannten Besitzer vom Homestay. Auf der Suche nach Gasmasken, die uns vor dem Schwefeldampf schützen sollen, fahren wir noch ein wenig durch die Gegend. Zurück in unserem Zimmer heißt es nun nur noch packen und ab ins Bett. Es ist 18 Uhr und der Wecker klingelt um Mitternacht.
Das Aufstehen gelingt uns erstaunlich schnell. Nach dem obligatorischen kopi dulu sitzen auch schon dick eingepackt auf unserem Scooter und düsen durch die Nacht. 30 km und Irgendwann fängt es leider an zu regnen und wir stoppen unter einem Dach. Mehrere Autos fahren an uns vorbei. Wir machen uns direkt Sorgen, dass unser Plan nicht aufgehen wird. Doch es hört zum Glück recht schnell wieder auf zu regnen und wir können die Fahrt fortsetzen.
Mit zunehmender Höhe wird es immer frischer. Kurz vor halb Zwei erreichen wir den Parkplatz. Hier herrscht schon reges Treiben. Wir reihen uns direkt am Ticketschalter ein. Bis die Schranke geöffnet wird, haben wir sogar noch Zeit für einen kopi. Um uns herum wird es immer voller. Dann die erlösende Öffnung der Schranke. Wir versuchen strammen Schrittes alle zu überholen und da es relativ schnell steil bergauf geht, können wir die Menschenmassen tatsächlich hinter uns lassen. Anscheinend besitzen wir durch die ganze Radlerei eine ganz gute Grundfitness. Unser Plan scheint jedenfalls aufzugehen, denn nach wenigen Minuten sind wir gefühlt allein unterwegs.
Der Weg nach oben ist herrlich ruhig. Der Mond setzt die Vulkanlandschaft um uns herum so richtig in Szene und bietet uns einen gigantischen Ausblick auf das Wolkenmeer im Tal. Der Wind und ein Husten rütteln uns aus diesem nächtlichen Traum wach. Ein Mienenarbeiter mit einer Karre taucht vor uns auf. Er steckt sich hustend eine Zigarette an. Wir befürchten, dass er unser Guide sein möchte, da er uns direkt folgt und anfängt uns die einzelnen Vulkane aufzuzählen. Wir wissen, dass sich einige der Arbeiter als Guide für Tourist*innen zusätzlich etwas Geld verdienen wollen, um ihren Hungerlohn aufzubessern. Wir lehnen dankend ab und suchen mit einem schlechten Gefühl das Weite.
Die Landschaft um uns herum wird rauer und rauer bis wir nach etwa drei Kilometern am Kraterrand stehen. Um das berühmte, blaue Feuer sehen zu können, müssen wir allerdings in den Krater. In der Dunkelheit steigen wir den mal mehr und mal weniger gut sichtbaren, steinigen Weg hinab. Hin und wieder können wir uns an den gelben Schwefelbrocken orientieren. Der aufsteigende Schwefelwasserstoff verströmt den Geruch von faulen Eiern. Viel schlimmer ist allerdings, dass er die Atemwege verätzt. Umso näher wir dem Kratersee (Kawah Ijen) und der Schwefelmiene kommen, desto schwerer fällt das Atmen. Plötzlich sind wir komplett von einer Dampfwolke umgeben, die Augen tränen und wir sind einfach nur froh, über unsere Gasmasken. Ruhig bleiben, weiter atmen, weiter hinabsteigen.
Irgendwann stehen wir vor leuchtend gelben Souvenirs aus Schwefelablagerungen. Wir sind wohl am api biru (Feuer blau) angekommen. Die blauen Flammen, die fälschlicherweise manchmal als blaue Lava bezeichnet werden, sind das Ergebnis einer chemischen Reaktion, bei der sich die Schwefelgase an der Luft entzünden. Sichtbar für unser Auge ist dieses Phänomen nur bei Dunkelheit, also, bis die Dämmerung beginnt. Es gibt auch Zeiten im Jahr, wo das Feuer überhaupt nicht zu sehen ist. Wir haben also Glück, dieses seltene Naturwunder sehen zu dürfen, was es so angeblich außer hier nur noch in Äthiopien gibt.
Um ehrlich zu sein ist es, zumindest heute, ziemlich klein. Zur Realität gehört auch, dass wir immer wieder in Rauchschwaden verschwinden, die uns die Tränen nur so in die Augen treiben und uns direkt unsere Lungen spüren lassen. Wie die Männer hier in der Schwefelmiene, Tag ein Tag aus, arbeiten können, oft ohne Masken, ist für uns bereits hier schwer vorstellbar.
Während wir noch Grübeln und versuchen zu atmen, trudeln die ersten Reisegruppen ein. Es füllt sich zügig. Der komplette Weg in den Krater ist mittlerweile mit unzähligen Kopflampen ausgeleuchtet. Der Moment für uns wieder aufzusteigen. Dabei fragen wir uns wirklich, wie einige hier wohl das Gesundheitszertifikat bekommen haben. Es entsteht ein richtiger Stau und wir sind einfach nur froh, jetzt nicht mit den Massen nach unten laufen zu müssen. Oben am Kraterrand ist es zum Glück wieder ruhiger. Wir suchen uns ein Plätzchen und warten auf den Sonnenaufgang sowie Wärme.
Das Prozedere verläuft ähnlich wie beim Bromo. Nachdem der Sonnenaufgang vorbei ist, verschwinden auch die Menschenmassen. Wir wandern noch ein Stück weiter am Kraterrand entlang und genießen die irre Vulkanlandschaft um uns herum. Auf dem Rückweg steigen wir noch einmal hinab in den Krater oder ist es das Tor zur Hölle?
Eine für uns faszinierende Naturkulisse, die gleichzeitig ein hochgiftiger Ort ist. Der aktive Ijen spuckt täglich ca. zehn Tonnen schwefelhaltige Gase aus und dennoch wird hier noch immer Schwefel per Hand abgebaut. Es heißt, dass die Arbeiter in der Schwefelmiene, den giftigsten Job der Welt haben. Bei Tageslicht ist dieses Szenario noch schwerer zu ertragen.
Der Schwefel tritt als Gas aus dem Vulkan aus und wird über lange Rohre abgekühlt. Am Ende lagert sich der Schwefel in dicken Schichten an der Erdoberfläche ab. Mit Eisenstangen stechen die Bergarbeiter die Schwefelbrocken aus dem Gestein. Im Anschluss bringen sie zu Fuß bis zur Ladestation, wo die Körbe gewogen werden. Für uns ist der steinige Weg bergauf und -ab, vorbei an Felsen, vorbei an den Arbeitern, die durch die schwere Last zu einer Pause gezwungen werden, eine anstrengende Wanderung. Für die Mienenarbeiter bitterer Alltag. Die Männer tragen bis zu 80 kg Schwefel pro Ladung nach oben. Wenn sie einen guten Tag haben, dann schaffen sie bis zu 3 Ladungen pro Tag. An einem solchen Tag verdienen sie dadurch nicht einmal 10 € (vgl. Doku „Die härtesten Orte der Welt: Indonesiens giftige Schwefelmienen“).
Diese extremen Arbeiten werden von den Männern unter ungünstigen Bedingungen erledigt. Keine entsprechende Ausrüstung, keine Handschuhe, oft auch keine Atemschutzmasken. Die Arbeiter sind den giftigen Dämpfen also häufig schutzlos ausgeliefert. Des Öfteren leiden sie unter chronischen Atemwegserkrankungen und anderen Folgen.
Der Schwefel hält die Arbeiter und ihre Familien am Leben und tötet sie zur gleichen Zeit. Wir haben tiefes Mitgefühl für diese Männer, die unglaubliche Dinge tun und gleichzeitig unfassbar freundlich zu uns sind.
Die wenigen Stunden hier haben uns mal wieder gezeigt, wie eng Freud und Leid beieinander liegen und wie ambivalent unsere Welt ist. Wie kann ein Ort gleichzeitig so intensiv schön und traurig sein?
Der Besuch des Kawah Ijen hat bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen, der uns wohl noch lange beschäftigen wird. Wir können wirklich sehr dankbar dafür sein, was wir alles erleben dürfen, aber nicht müssen.
Dir hat unser Beitrag gefallen? Wenn du möchtest, kannst du hier etwas in unsere virtuelle Kaffeekasse werfen.