Wir sitzen endlich wieder auf den Rädern und radeln entlang der Schwarzmeerküste gen Osten. Wir sind umgeben von çay, doch diesmal nicht nur im Glas, sondern vor allem an den steilen, grünen Hängen. Bevor wir Georgien erreichen, sagen wir noch kurz bei den Laz Hallo.

Viel Spaß beim Lesen!

Es ist soweit! Der Tag an dem wir uns wieder auf die Räder schwingen ist gekommen. Irgendwie sind wir seit gestern Abend ganz schön aufgeregt, aber das Wetter meint es heute gut mit uns und die Sonne strahlt. Mitten im Winter hätte das ja auch ganz anders sein können. Die ersten Meter fühlen sich noch ganz komisch, ungewohnt und wackelig an. Nach nicht mal 5 Minuten Fahrt bleibt auch noch eine der Hintertaschen an einer Leitblanke hängen und die Aufhängung knackt durch. Das geht ja gut los…
Zum Glück haben wir noch Ersatz dabei und können das Problem schnell lösen. Ein letztes Mal rollen wir die uns nun schon vertraute Strecke nach Trabzon am Meer entlang und schon bald macht sich wieder dieses unbeschreibliche Freiheitsgefühl in uns breit und die Freude wieder auf unseren Drahteseln zu sitzen überkommt uns. Wir schlängeln uns auf den bereits beim Taxifahren ausgekundschafteten, für uns günstigen Wegen möglichst immer nah am Meer entlang durchs Stadtgebiet von Trabzon. Dabei staunen wir immer wieder über das durchs Sonnenlicht besonders in Szene gesetzte, schneeweiße Bergpanorama am Horizont. Irgendwann beradeln wir dann endlich Neuland und streifen zwischen den frisch hochgezogenen Häusern und Hotels in den nachfolgenden Städten, auch viele kleine Fischereisiedlungen, die vor der riesigen Hauptstraße noch geblieben sind. Die frische, klare Winterluft und der Sonnenschein sind einfach herrlich, aber dennoch macht sich auch ziemlich schnell die Erschöpfung in unseren Körpern breit. Wir sind ziemlich im Eimer und wohl nichts mehr gewöhnt nach unserer Pause. Wir beschließen uns ein Ziel für heute zu setzen, suchen uns eine günstige Bleibe und mit der Aussicht auf ein warmes Bett und etwas Essen im Bauch radelt es sich gleich wieder leichter.

Die gemütliche Unterkunft am Meer ist nahezu leer um diese Jahreszeit. Der sympathische Besitzer und sein Freund bestellen für uns eine ordentliche Portion Lahmacun. Während des Wartens sitzen wir gemeinsam mit den beiden am Kamin und können unser Glück über so ein schnelles Wiedersehen mit einem Kamin nicht fassen. Die beiden spielen Tavla und wir unterhalten uns über die Währungskrise und lauschen den Anekdoten über die sehr pünktlichen deutschen Gäste, die wohl immer ihre Teller fein säuberlich abessen. Zumindest zweiteres Klischee werden auch wir mit unseren hungrigen Bäuchen heute verifizieren. Der Besitzer, der auch Fischer ist, erzählt uns, dass der Wind hier fast immer aus Westen kommt… außer heute. Nach diesem lustigen Abend gehts für uns ziemlich schnell ins Bett.

Der Weg führt uns immer weiter an der Küste entlang und es gelingt uns auf der alten Küstenstraße sogar ziemlich gut, dem großen Asphaltmonster zu entkommen. Auch wenn wir ab und an mal eine abenteuerliche Tunnelumgehung bewältigen müssen. Bei milden 17 Grad kommt bei uns direkt Frühlingsstimmung auf und wir können sogar hin und wieder im T-Shirt radeln. Überraschenderweise beginnt plötzlich eine alte Radstraße durch gemütliche Dörfer. Hier erblicken wir zum ersten Mal die Teepflanzen, die hier in einem saftigen Grün auf den steilen Hängen nahezu überall wachsen. Die Region um Rize ist das Hauptanbaugebiet für den Schwarzen Tee in der Türkei. Aus diesem Grund fahren wir hier auch sehr oft an Cayfabriken vorbei. In Rize sieht man uns die Erschöpfung vom Radeln in einem Supermarkt wohl an und der Verkäufer bringt uns nach unserem Einkauf erstmal einen Cay vor die Tür. Wenig später kommt dann auch noch die Kassiererin mit einer Tasse voller Lokum raus. Genau diese Energizer haben wir gebraucht und können nun beflügelt weiterradeln.

Zwar gelingt uns immer mal wieder ein Ausweichen auf Seitenstreifen, Seitenstraßen und co., aber dennoch ist die Geräuschkulisse der stark befahrenen Hauptstraße immer vorhanden, obwohl links von uns das Meer liegt und rechts von uns die steilen, grünen Hänge gen Himmel ragen. Es könnte so schön sein. Aus diesem Grund beschließen wir, dass wir uns eines der Täler noch einmal genauer anschauen wollen, um der eigentlich schönen Natur der Region wieder etwas näher zu kommen. Wir biegen also in Ardeşen ins Tal des Fırtına Deresi ein und werden direkt mit einem herrlichen Blick auf die Berge empfangen.

Wir landen letztendlich im Dere Evi, einem kleinen, gemütlichen Holzhäuschen von Turan, direkt am plätschernden Gebirgsflüsschen. Nach der Begrüßung trinken wir einen kahve zusammen und immer wieder stellt er beim Anblick unserer bepackten Esel fest, dass wir normal yok, also nicht normal sind. Ohne Gepäck machen wir uns auf den Weg ins Tal und es ist einfach traumhaft. Endlich überwiegen wieder die Naturgeräusche in unseren Ohren. Überall plätschert es, Wasserfälle laufen von den Gipfeln über die gesamten Berge hinunter, es ragen die Teebüsche aus der Erde und alles erstrahlt dadurch auch im Winter in einem saftigen Grün. Bei unserer Ankunft kurz vor der Dunkelheit lodert bereits das Feuer im Ofen. Turan fragt, ob wir mit ihm essen wollen und so kochen wir Nudeln und er grillt draußen Brote mit sucuk. Nach dem Essen sitzen wir noch eine Weile gemeinsam am Feuer, trinken çay und telefonieren mit seinem Kumpel aus Deutschland. Durch das Plätschern des Flusses und die prasselnden Regentropfen auf dem Dach schlummern wir nachts tief und fest.

Am nächsten Tag gehts im Regen, aber bei noch immer milden Temperaturen, weiter. Eilig haben wir es bei diesem Anblick nicht. Heute werden wir endlich mal wieder über warmshowers unterkommen, aber vorher wartet noch eine Tunnelumfahrung auf uns. Danach gehts auf der Gegenspur im Baustellenverkehr weiter, bis wir Murat vor seinem kleinen Häuschen am Meer hinter der Leitblanke schon stehen sehen.
Herzlich werden wir begrüßt und dann hieven wir unsere Räder über die Leitblanke und Murat zeigt uns sein kleines Paradies, was er sich mit der Unterstützung von ein paar Freunden, wahrscheinlich so halblegal, innerhalb von ein paar Tagen aufgebaut hat. In der kuscheligen Einzimmerwohnung lodert der Ofen und wir trinken erst einmal einen heißen çay zusammen.
Murat zeigt uns sein volles Gästebuch und erzählt, dass er jeden Radreisenden, den er auf der Straße sieht begrüßt und zu sich einlädt. Halb im Scherz sagt er, dass es wohl nur sehr wenige Reisende gibt, die auf dem Weg nach Georgien nicht bei ihm auf einen çay anhalten. Bei all den Einträgen aus aller Welt in seinem Gästebuch glauben wir das gern. Und so sind wir am Ende unserer Reise durch die Türkei genau wie zu Anfang ganz zufällig bei einer beliebten Sammelstelle für Radreisende gelandet, auch wenn es hier ganz anders ist als in Lüleburgaz…

Murat ist leidenschaftlicher Angler und so bereiten wir aus unseren Essensresten und etwas kleingehacktem Fisch eine köstliche Mahlzeit nach Laz’er Art zu.
Das Bergvolk der Lasen ist eine in der Türkei nicht offiziell anerkannte, ethnische Minderheit, die sich im südöstlichen Gebiet des Schwarzen Meers angesiedelt hat. Wobei sich die ethnische Zugehörigkeit, wie so oft, über die Landesgrenzen hinaus erstreckt und so leben z.B. auch in der zu Georgien gehörenden autonomen Region Adscharien rund um Batumi Lasen. Die lasische Sprache Lazuri, welche fälschlicherweise oft als türkischer Dialekt deklariert wird, gehört genau wie das Georgische zur südkaukasischen Sprachfamilie. Durch die fehlende Anerkennung, nimmt die Anzahl der Lasischsprechenden ab und es besteht die Gefahr des Aussterbens der Sprache und Kultur. Umso dankbarer sind wir dafür, dass Murat seine Kultur ein Stück weit mit uns teilt.

Die Sonne verschwindet in der brausenden See und wir gehen zum Abendprogramm über. In einer kleinen Ecke entdecken wir ein tavla-Spiel und berichten Murat stolz, dass wir auch schon ab und an mal gespielt haben. Im Handumdrehen war das Spiel aufgebaut, es gab immer mehr çay und Murat rauchte eine nach der anderen, um dem Ambiente eines Teehauses auch in nichts nachzustehen. Die kleinen Würfel werden halb schnipsend aus der Hand in das Spielfeld geworfen und falls es bei einem Spielzug eine zu lange Denkpause gibt, übernimmt Murat ihn gleich für uns mit. Nach einigen Runden verrücken wir den Tisch, holen Decken unter dem Sofa hervor und in kürzester Zeit haben wir drei kleine Schlafnischen in der gemütlichen Einzimmerwohnung gezaubert. Es wird noch ein letztes Mal Holz aufgelegt, um dann bei Meeresrauschen auf der einen und vorbei rasenden LKWs auf der anderen Seite in den Schlaf zu finden.

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns nach einem leckeren Laz Frühstück von Murat und radeln weiter gen Osten, Richtung Georgien. Der Abend bei Murat war noch einmal ein wunderschöner Abschluss für eine unvergessliche Zeit in der Türkei. Nach 127 Tagen, ca. 3.100 km, über 27.000 Höhenmetern und unzähligen neuen Freunden sagen wir görüşürüz! Es war uns ein Fest mit all den wunderbaren Menschen und der schönen Natur zusammenzukommen. Es ist schon verrückt, denn was hätten wir hier alles verpasst, wenn wir unseren eigentlichen Plan mit der Fähre direkt von Burgas nach Batumi zu fahren, in die Tat umgesetzt hätten! Bei dem Gedanken daran sind wir einfach nur froh, dass wir den Weg über die Türkei doch eingeschlagen haben.
Vielleicht sind es Schlagzeilen, die man so halb wahrnimmt, die einem das Bild verdunkeln oder Geschichten, die man von jemanden hört, der jemanden kennt… Auch wenn man sich davon nicht beeinflussen lassen möchte, schwingt doch immer noch eine gewisse Aufgeregtheit umher, bis man durch die eigenen Erfragungen immer ruhiger wird und sich sein eigenes Bild macht. Wir wissen auch, dass wir als Reisende und damit letztendlich als Tourist:innen unterwegs waren und so nur am Rande manche nicht so eleganten Dinge miterlebt haben, denn ein Bild von diesem wunderbaren Land hat sich nicht so ganz wiederlegen lassen und so ist wohl leider so, dass man manche Geschichten in der Türkei als Fabel getarnt erzählen muss. Doch das ist wohl eine Sache, die uns nicht obliegt und so erzählen wir lieber von den fabelhaften Erlebnissen.
Die herausragende, türkische Gastfreundschaft, von der wir hier ja schon so oft berichtet haben, hat uns einfach nur überwältigt! So richtig fassen können wir es bis heute nicht, wie oft wir ganz selbstverständlich einfach mal so mit Essen beschenkt, eingeladen oder einfach nur mit einem wirklich von Herzen kommenden Lächeln willkommen geheißen wurden. Die Offenheit gegenüber fremden Menschen ist eine Sache, die uns wirklich umgehauen hat und die wir uns unbedingt bewahren und in unseren Herzen mit nach Hause nehmen wollen. Warum nicht z.B. einfach mal einen Reisenden zum Kaffee oder Tee einladen?

Wir rollen unsere letzten Kilometer in der Türkei. Der Verkehr auf der großen Straße wird ruhiger, jedenfalls was das Fahren angeht. Wir radeln an unendlich vielen parkenden LKW’s vorbei. Auf bestimmt zehn Kilometern Länge hat sich die Schlange angestaut, teilweise stehen die LKW’s sogar in den Tunneln. Der laufende Motor erzeugt dabei nicht unbedingt die beste Luft für Radfahrer:innen.

Wir durchqueren den letzten kleinen Tunnel und stehen auf einmal leicht überrascht vor der georgisch-türkischen Grenze. Die Formalitäten sind schneller erledigt als gedacht und innerhalb kürzester Zeit verlassen wir auch schon das futuristische Grenzgebäude von Georgien im Sonnenschein.

გამარჯობა – Gamajorba

Wir sind in Georgien und werden freundlich, lächelnd begrüßt. Auch wenn uns die wunderschöne, georgische Schrift mehr als ein Fragezeichen aufzeigen mag. Wir sind in Georgien! Wir sind tatsächlich mit dem Fahrrad nach Georgien geradelt! Doch unsere Freude ist noch etwas verhalten, wir hängen wohl der Türkei noch etwas hinterher, aber wie wir wissen, wird sich das ja hoffentlich bald ändern.
Schon wenige Meter hinter der Grenze werden wir aus unseren türkischen Tagesträumen gerissen und „Wine! Wine! Georgian Wine!“ ertönt es vom Straßenrand. Wir erblicken Kirchen statt Moscheen und Kreuze statt Mondsicheln. Wir schnuppern die ersten Eindrücke von Georgien auf und das heißt wohl vor allem auch schönster Natur zu begegnen. Der Chorokhi schlängelt sich durch die Berge und mündet in einer Sumpflandschaft im Schwarzen Meer. Im Hintergrund sieht man die massiven Berge, deren Gipfel schneebedeckt sind. Die Sonne scheint und es riecht nach Frühling. Doch vielleicht ist es auch dieses trügerische Frühlingsgefühl, was unsere Vorfreude auf Georgien dämpft, denn es ist Februar und damit steht noch ein langer, kalter Winter vor der Tür!

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Liebe Radler!
    Der türkischstämmige, deutsche Regisseur Fatih Akin hat Vorfahren aus dem Teleanbaugebiet am Schwarzen Meer… Im Praktikum Mitte der 80er Jahre haben die türkischen Kollegen die Lasen immer mit den Ostfriesen in Deutschland verglichen. Es werden in der Türkei viele Witze über die Lasen gemacht. Unsere Dolmetscherin in der Schule, Frau Denizci (Seemann), kommt auch vom Schwarzen Meer und ist sehr gebildet…
    Gute Erfahrungen in Georgien und schönes Frühlingswetter wünschen euch Karen und Renate aus dem oft sonnigen Kiel ☀️☀️🌷🌷

  2. Rasto

    Isi &Bimi

    Post card. What a surprise!
    I’m glad you started sharing your travel experienc again. As usual, it is amusing and energizing reading. So you are at Georgia, now. A country of good wine and county of magnificent mountains. I hope you meet there the hospitality and frendliness like you did in Turkey. Although, it will not be easy to beat Turkish in their hospitality 🙂
    When you meet foreigners, or people you have never seen before, it is hard to guess what these people are like. Are they good? Or ill minded? Selfish or friendly? You know … when I met you, I did not know how inspiring and energising you were and how important you will become in my life later.
    Keep going, keep sharing and keep changing my prejudices and superstitions about the life out there.

    Lubka & Rasto

  3. Kieran Oswald

    Hi Ihr zwei 🙂
    Wir radeln ebenfalls von Deutschland nach Osten und haben euer Gästebucheintrag und Wandgruß bei Murat gelesen. Da wir ein sehr ähnliche Route radeln sind euer Blogeinträge für uns sehr interessant! Grade sind wir in der Nähe von Kutaissi und erkunden hier der Schönheit Georgians!
    Habt ihr ein grobes Ziel nach Armenien?
    Danke nochmal für euer Bilder und Texte!
    Liebe Grüße,
    Kieran und Franzi
    Up2Nothing

    1. Hey Kieran und Franzi, wie schön, dass ihr auch bei Murat angehalten habt. Es freut uns, dass euch unsere Beiträge gefallen. Georgien ist wirklich ein Radeltraum… zumindest abseits der Hauptverkehrsstraßen 😀 Genießt das wunderbare Land weiterhin. Wir radeln weiter durch Armenien und dann in den Iran. Vielleicht trifft man sich ja irgendwann. Liebste Grüße Bim & Isi