Auf unseren letzten Kilometern in Nepal kommen wir nochmal an unsere Grenzen. Die Bedingungen sind widrig und unsere Lungen ächzen nach frischer Luft. Dabei könnte der Weg von Pokhara nach Kathmandu so schön sein.
Ein letztes Mal schlendern wir entlang der Promenade an der Lakeside, genießen die jetzt üppig grünenden Hügel, die den Phewa Lake umranden und schauen wehmütig auf die Berge. Ein letztes Mal sollen wir sie sehen, ein letztes Mal beschert uns ein Gewitter eine klare Sicht mit frischer Luft. In den nächsten Tagen klettern die Temperaturen immer weiter nach oben und die Luft füllt sich mit Staub.
Zurück auf den Rädern ist es wie immer, wir fühlen uns direkt wohl. Da ändert auch der stickige Stadtverkehr von Pokhara nichts dran. Selbst die knapp zehn Kilometer, auf dem stark befahrenen, von Abgasen und Staub überdecktem Highway von Pokhara nach Kathmandu, können uns nichts anhaben. Es ist einfach dieses wunderbare Gefühl, mit dem Fahrrad in ein neues Abenteuer zu starten, ins Ungewisse. Nicht zu wissen, wo man am Abend ist oder was alles noch passieren wird.
Wobei wir heut nicht wirklich ins Ungewisse starten, sondern ein Ziel haben. Am östlich von Pokhara gelegenen Begnas Lake gibt es kleines Familienunternehmen, welches seit 1992 Kaffee anbaut und selbst röstet.
Es ist eine wunderbare Atmosphäre und wir blicken von der kleinen Terrasse auf den See inmitten der grünen Hügel. Am Abend wandern wir durch den dichten und kühlen Dschungel nach unten ans Wasser. Die Vögel zwitschern und Grillen zirpen. Es ist wunderschön. Dann springen wir ins erfrischend kühle Nass. Wann waren wir denn eigentlich zum letzten Mal im Süßwasser baden?
Die Sonne geht unter und die staubige Luft dämpft die Lichter. Ein Angler steht neben uns und holt die Schnur mit der Hand rein und wirft sie wieder aus. Ein Boot schippert vorbei, zwei Frauen lassen Reusen in den See, nachdem sie sie entwirrt haben. Weiter draußen schippern noch ein paar Boote. Wir bleiben spontan einen Tag länger und verbringen unseren zweiten Reisegeburtstag an diesem wunderbaren Ort. Wenn wir zurückblicken, können wir es kaum fassen, was in den letzten zwei Jahren so alles passiert ist.
Bevor wir wieder auf die Räder steigen, zeigt uns die Familie noch die Röstmaschine. Früher wurde hier noch alles per Hand gemacht, vom Mahlen bis zum Rösten. Seit einigen Jahren löst nun auch die moderne Barista Kaffeemaschine die Mockapots ab. Die Relikte hängen noch in allen Größen an der Wand. Für die Ernte der saftigen Kaffeebohnen sind wir zu spät. Diese beginnt im Herbst und kann bis zu einem halben Jahr dauern. Jetzt steht die Blüte bevor. Auf der Facebookseite des Begnas Coffee House gibt es detailliertere Einblicke (Hier klicken, um das Video anzusehen).
Wir erfahren, dass der Kaffee in Nepal seit ca. sieben Jahren an Popularität gewinnt. Man spürt es auch, wenn man durch die Straßen der größeren Städte läuft und fast überall ein gutes Café finden kann. Früher musste sich der Besitzer noch rechtfertigen, dass das, was er da macht, der echte Kaffee sei und nicht das lösliche Pulver von Nescafé und co.
Wir starten mit dem Sonnenaufgang, denn in Nepal liegen die Temperaturen mittlerweile bei über 30°C. Der Weg ist wunderschön. Alles ist grün und es fühlt sich an wie im Dschungel, aber die Anstiege zerren an unseren Beinen, denen wir nicht wirklich eine Pause nach den Bergen gegönnt haben.
In der Mittagssonne wird es fast unerträglich. Mittlerweile hat sich die Umgebung verändert, es ist trocken. Die Flüsse sind leer und die Straße ist nur noch eine staubige Piste. Wenn ein LKW oder Bus an uns vorbei rollt, hängen wir einige Sekunden in einer Staubwolke fest. Die Natur ist bedeckt mit einem Staubschimmer. Mit Mühe finden wir ein schattiges Plätzchen für unsere Mittagspause.
Der Weg bleibt wie gehabt oder wird noch staubiger. Teilweise liegen feine Staubsichten aus bis zu fünf Zentimetern vor uns. Wenn wir hindurch rollen, zerstäubt alles, geschweige denn, was mit der Luft passiert, wenn die LKW hindurch poltern. Es ist heiß und wir winden uns weiter nach oben und schlucken dabei ordentlich Staub. Trotz allem ist der Verkehr hier relativ entspannt.
Am Abend finden wir ein schönes Plätzchen am Flussbett. Wir richten uns ein und sind gerade dabei eine Suppe zu kochen, als wir Besuch von einer Frau bekommen. Dass sie etwas merkwürdig ist, haben wir direkt gespürt. Sie erzählt immer das Gleiche, will wissen, wie spät es ist und wo der Mond aufgeht. Sie sagt, dass sie hier schläft und nachts ab und an ein Tiger bei ihr vorbeikommt. Sie fragt, was wir da kochen und erwidert, dass dies ihr aber nicht schmecke. Dann knabbert sie an einem Stück Holz, rupft Gras und will dies in unsere Suppe werfen.
Wir fühlen uns schon längst nicht mehr wohl, packen zusammen und machen uns aus dem Staub. Es ist mittlerweile dunkel. Auf dem Weg haben wir ein Schild mit „Cottage“ gesehen. Wir radeln in das Dorf zurück und werden dort von drei betrunkenen Männern empfangen. Das „Cottage“ entpuppt sich als Restaurant und ist bereits geschlossen. Die Besoffenen wirken anfangs etwas aufdringlich, doch schon bald mäßigen sie ihre Euphorie und holen den Besitzer. Wir fragen, ob wir irgendwo unser Zelt aufschlagen dürfen.
Am Ende spazieren wir mit ihm nach Hause, was bedeutet, dass es noch mal den Berg nach oben geht. Angekommen ist die Mutter ganz aufgeregt, dass wir jetzt zelten und nicht im Haus schlafen wollen. Doch Sujan überzeugt seine Mutter und wir freuen uns auf unser Zelt. Es ist so schön, dass dies auch akzeptiert wird. Nach einem kleinen Plausch auf der Gartenmauer können wir auch schon in unsere Schlafsäcke schlüpfen und unter dem großen Strohhaufen neben den Wasserbüffeln und Ziegen einschlafen.
Die Landschaft, die uns umgibt, erfüllt uns mit Freude. Grüne, terrassierte Reisfelder, eingerahmt von Bananenstauden. Teilweise stehen die Reisfelder im Wasser, doch es bleibt das einzige Wasser weit und breit. Auch hier ist das Flussbett eher ausgetrocknet. Staub liegt in der Luft und das wird sich wohl auch nicht ändern, bevor es keine Asphaltstraße gibt, denn als wir diese erreichen, fühlt es sich direkt wie Urlaub an.
In Aabu Khaire Bazar erreichen wir den H04, den Highway von Pokhara nach Kathmandu, den wir bis hier her recht gut umgehen konnten. Doch auf den nächsten knapp zehn Kilometern lassen wir es über uns ergehen. Eigentlich eine wunderschöne Straße, die sich wie der Fluss durch ein beeindruckendes Tal schlängelt, aber so richtig kann man es eben nicht genießen, denn die Straße ist voll.
Hoffnungsvoll verlassen wir in Mugling den H04 und biegen auf den H05 gen Süden ab. Doch warum wir Hoffnung auf weniger Verkehr hatten, wissen wir im Nachhinein auch nicht. Die Hauptverbindung zwischen Kathmandu, dem Terai und mit Indien ist ähnlich gefüllt, wenn nicht gar noch voller. Abgase und Staub liegen in der Luft und wir mühen uns Kilometer für Kilometer. Auch die Hoffnung auf einen gemütlichen Platz für unsere Zelt neben der Straße haben wir schnell abgelegt.
Ab und an ist der Randstreifen des Highways mit kleinen Lokalen und Verkaufsständen gesäumt. In klapprigen Holzbuden wird Frittiertes und Chowmein verkauft. Vor der Hütte, die auch als Wohnung der Familie dient, gibt es einen Tisch mit zwei kleinen Bänken. Wir gönnen uns einen Snack, doch bevor die Frau anfängt die Nudeln in der Wokpfanne zu kochen, holt sie diese erstmal am Nachbarstand. Auch die eiskalte Cola kommt nicht aus ihrem Kühlschrank. Es ist schön zu sehen, dass all die Stände und Menschen in einem Miteinander und nicht in einem Konkurrenzkampf leben. Eine Sache, die uns oft in Nepal aufgefallen ist.
Am Ende des Tages finden wir dann doch noch einen Platz für unser Zelt, den Highway haben wir allerdings auch verlassen und sind auf eine kleine Straße ausgewichen. Unsere Villa Sonnenschein steht heut am Kali Gandhaki, dem Fluss, dem wir nach dem Überqueren des Thorong La gefolgt sind.
Auf der gegenüberliegenden Seite angeln junge Männer. Etwas später paddelt ein sehr schmales Boot, was wohl eher an einen Baumstamm erinnert als an eine Jolle, stromaufwärts. Wir genießen den Abend in der Natur.
Da in Nepal der traditionelle Bikram Kalender anstelle des gregorianischen Kalenders verwendet wird, ist am nächsten Tag Neujahr. Im Gegensatz zu unserem Sonnenkalendersystem, basiert das nepalesische auf einem Mondkalender. Das Jahr beginnt hier am ersten Tag des Frühlingsmonats Baisakh, was bei uns auf einen Tag mitten im April fällt. Auch die Jahreszahlen unterscheiden sich. Wir befinden uns jetzt im Jahr 2080. Pünktlich zu Neujahr befinden wir uns auch mal wieder an einem für Hindus sehr heiligen Ort, wo zwei Flüsse zusammenfließen – Devghat. Als wir die Hängebrücke gen Terai überqueren wollen, kommen uns unzählige, bunte Pilger*innen mit Opfergaben entgegen, natürlich nicht ohne uns ein „Happy New Year“ zu wünschen.
Wir sind wieder im Terai, was wir nicht nur an den flachen Straßen, sondern auch am Thermometer spüren. Auch wenn die letzten Tage schon sehr warm waren, in Südnepal knacken wir zum ersten Mal wieder die 40°C Marke. Der Tag zieht sich und wir schmecken vor allem Abgase und Staub. Wir finden nicht wirklich eine Unterkunft und fühlen uns auch eher unwohl in der Gegend. Am Ende fahren wir in der Mittagssonne noch bis nach Hetauda.
Vor uns liegt ein anderes Nepal. Eins, welches die Statistiken wohl mehr beeinflusst als das, was wir in den Letzten gut zwei Monaten gesehen haben. Hier schaut uns die Armut öfters ins Gesicht. Die Gesichtsausdrücke zeigen uns keine Grundzufriedenheit. Alkohol spielt wohl auch eine größere Rolle, denn zum ersten Mal sehen wir mitten am Tag betrunkene Männer auf der Straße. Auch wenn es so wirkt, dass in den Bergen jeder Zentimeter genutzt wird, hier ist es einfach nochmal viel bevölkerter.
Von Hetauda begeben wir uns auf den Tribhuvan-Highway gen Norden, der Ende der 50er Jahre fertiggestellt wurde und somit die erste große Verbindungsroute von Kathmandu nach Indien darstellte. Benannt wurde die Straße nach dem damaligen König. Das Nepal bis 2008 eine waschechte Monarchie besaß, fühlt sich einfach so absurd an. Regierende König*innen sind für uns doch etwas aus einer anderen Zeit.
Erschöpft strampeln wir auf unsere letzte Bergetappe in Südasien. Da die letzten Nächte etwas wenig Schlaf mit sich gebracht haben, suchen wir uns schon gegen Mittag ein Plätzchen für unser Zelt. So war zumindest der Plan, doch das Gelände gibt einfach nichts her. Wir quälen uns in der Mittagshitze weiter nach oben und entdecken etwas abgelegen alte Terrassen. Mehrere Bäume geben Schatten, bevor das Gelände steil nach unten abfällt und ein rauschender Fluss für etwas Unterhaltung sorgt. Es ist ein perfekter Ort.
Ein perfekter Ort, würden da nicht gegen Abend auf einmal Rauchschwaden zu uns herüberziehen. Etwas entfernt brennt der Wald lichterloh. Der Wind facht das Feuer immer stärker an und treibt es scheinbar auf uns zu. Es sind wohl geordnete Feuer zur Brandrodung, trotzdem fühlt es sich nicht gut an, diesen so hilflos ausgesetzt zu sein. Wir überlegen, was wir machen sollen. Bleiben oder doch weiter, weg von den Bränden, raus aus dem Rauch, der uns einnebelt. Doch wo sollen wir hin? Die Dämmerung setzt ein. Zurück, wo wir kein zeltbares Gelände gefunden haben oder der Straße weiter folgen, direkt in die Waldbrände hinein?
Wir bleiben. Als wir es uns gerade in unseren Schlafsäcken gemütlich gemacht haben, strahlen uns Taschenlampen ins Gesicht. Wir befürchten schon, dass hier gleich eine kleine Party steigen wird. Doch eine Familie aus der Umgebung macht sich wohl nur Sorgen um uns und bietet uns ein Zimmer an. Auch, wenn der Fokus eher auf wilden Tieren als auf den scheinbar völlig normalen Bränden liegt. Wir beruhigen sie mit Händen, Füßen und unserem rudimentären Nepali und versprechen, dass wir zum Haus kommen, wenn es Probleme gibt. Das beruhigt zumindest etwas, aber wir haben trotzdem eine eher unruhige Nacht.
Am nächsten Morgen liegt kalter Rauch in der Luft, Rauchflocken haben sich in unserem Moskitonetz verhangen. Wir packen zusammen und schwingen uns auf die Räder. Teilweise qualmen die schwarzen Häufchen am Wegesrand noch. An Sicht ist nicht zu denken, der Rauch vernebelt alles. Wir schlängeln uns immer weiter nach oben, doch die Luft wird einfach nicht besser. Wir sehen und schmecken neue Brände. Es brennt in den Augen und uns wird schlecht von der Luft, die wir hier atmen müssen. Der Rauch ist schlimmer, als all der Smog, die Abgase und der Staub, denen wir bisher ausgesetzt waren.
Irgendwann löst sich der Rauch endlich auf, die Luft wird frischer, wir sehen sogar den blauen Himmel. Ab jetzt können wir den Weg genießen. Die Straße ist gut asphaltiert und wenig befahren, die Steigung konstant, aber nicht zu doll, der Ausblick auf die Hügel und Terrassen wunderschön.
Doch die Erschöpfung ist spürbar. Wir sind so kaputt, wie schon lange nicht mehr und da wir nichts zum Zelten finden, radeln wir einfach immer weiter. Es geht ca. 35 km stetig bergauf. Wir müssen richtig auf die Zähne beißen, alle Kräfte mobilisieren und uns mental motivieren einfach immer weiter zu radeln. Eine andere Wahl haben wir auch nicht wirklich.
Wir passieren zwei, drei kleine Dörfer. Die Bewohner*innen schauen uns an, als haben sie hier noch nicht so viele Touris gesehen. Sie begegnen uns nach kurzen erstaunten Blicken mit einem herzlichen Lächeln. In der Abendstimmung spielen Kinder vor den Häusern. Männer und Frauen sitzen plaudernd in einem kleinen Lokal, wieder andere schwatzen auf oder neben der Straße. Es wirkt als kennen sich alle. Die Atmosphäre ist heiter und gelassen.
Für uns geht es immer weiter gen Pass. Die Sonne verschwindet hinter den Bergketten und wir erreichen endlich Simbhanjyang auf 2.500 m. Wir haben es geschafft. Das letzte Mal hoch oben in Nepal. Völlig erschöpft nehmen wir das erste Haus, welches ein Zimmer anbietet, lassen uns ein dal bhat zubereiten und fallen einfach nur noch auf die harte Matratze!
Nach dem Pass ist vor dem Pass. Es ist bloß nicht mehr so ein großer Pass und daher fehlt jetzt auch jegliche Motivation für die nächsten Tage. Wir sind einfach erschöpft, wollen nur noch irgendwie nach Kathmandu kommen. Wir verlassen den Highway und sind jetzt auf einer Piste unterwegs, die in wirklich schlechtem Zustand ist. Jeeps wirbeln den Staub auf und rasen rücksichtslos an uns vorbei. Die Straße wird besser, aber teilweise auch richtig steil.
Die Dörfer und Städte vor Kathmandu erscheinen ganz anders, als das, was wir bisher gesehen haben. Die Häuser sind massiver und größer. Das dunkele Steinmauerwerk gepaart mit Holz wirkt teilweise beengend, teilweise angenehm idyllisch. Es erinnert uns etwas an Frankreich, aber auch irgendwie an den wilden Westen oder eher daran, wie wir ihn uns vorstellen.
Immer mehr buddhistische und hinduistische Tempel säumen den Weg, Sadhus bewandern die Straße, die Bebauungen werden dichter, mehr Menschen und Autos besiedeln die Straße. Es wird städtischer. Wir sind in Kathmandu! Wie als ob all die Anstrengungen weggeblasen sind, vor Aufregung, vor Begeisterung, vor so vielen Dingen, die es auf einmal wieder zu sehen gibt. Das Radeln durch die Stadt fühlt sich schon fast leicht an. Wir sind in Kathmandu und nun ganz froh, die Räder erst einmal stehen lassen zu können.
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Ihr Lieben! Das war ja eine staubige Partie! Hoffentlich habt ihr euch von den Strapazen allmählich erholt. …… Bei der Brandrodung sterben auch immer viele kleine Tiere. Ob das so der Hit ist? Ich hätte nie gedacht, dass die Luftverschmutzung so ein großes Thema in Asien ist…. da müssen wir euch eine steife Brise schicken, die die Luft bereinigt! Gute Erholung wünschen euch Renate und Karen