Wir erreichen Bulgarien und radeln die Küste entlang gen Süden. Schöne Strände, klares Wasser, Steilklippen aber auch touristische Hotelburgen liegen vor uns. Am Ende legen wir eine Pause ein und blicken zurück auf ein halbes Jahr Radfahren durch Osteuropa.

Viel Spaß beim Lesen!

Mit dem Grenzübergang nach Bulgarien kommen wir zum ersten Mal mit einer uns nicht bekannten Schrift in Kontakt, dem kyrillischen Alphabet. Allein dies lässt uns deutlich spüren, dass wir eine Landesgrenze überschritten haben. Es ist schon verrückt, wie sich manchmal Umgangsformen und das äußere Erscheinungsbild so schlagartig ändern, nur weil man gerade einen Schlagbaum passiert hat. Nach ein paar Stunden auf dem Rad in dem neuen Umfeld ist man dann aber auch direkt eingetaucht in die neue Atmosphäre. Statt der Hunde sieht man hier nun eher Katzen herumliegen, aus Lei werden Lewa und die Preise sinken noch einmal spürbar. Auch der Verkehr ändert sich gefühlt schlagartig mit dem Grenzübertritt. Wir werden respektiert, Autos halten Abstand, fahren mit einem anständigen Tempo an uns vorbei und es gibt manchmal sogar echte Radwege, die nicht nach wenigen Metern im Nirvana verschwinden. Wir sind mehr als froh darüber und fühlen uns im Straßenverkehr viel sicherer aufgehoben.

Unsere Route verläuft entlang der schönen, zerklüfteten bulgarischen Schwarzmeerküste, an der wir immer wieder schöne Plätze in der Natur mit Blick auf das Meer finden.
Nachdem wir ein Stück auf der hügeligen Europastraße zurückgelegt haben, biegen wir auf kleinere Straßen ab und landen in Tyulenovo, wo es eine wunderschöne Steilküste gibt. Es fängt an zu regnen und wir wollen uns in der Nähe einen Schlafplatz suchen, doch der feine, nasse, tonige Schlamm und die vertrockneten Grashalme ergeben ein schlammiges und verstopfendes Gemisch. Unsere Räder sammeln immer mehr auf und es dauert nicht lang und die Nerven liegen blank, da wir uns ständig wieder festfahren, klitschnass sind und ordentlich bibbern. Da es nicht mal mehr möglich ist zu schieben, schlagen wir unser Zelt bei stürmischen Böen auf der Klippe auf, was bei einem steinigen Klippenboden natürlich direkt zur nächsten Herausforderung führt.
Irgendwann steht unser Zelt endlich, der Regen lässt nach, wir nutzen die Regenpause für unsere Wassersackdusche und genehmigen uns einen Ingwertee zum Aufwärmen. Als wir später gerade in die Schlafsäcke schlüpfen wollen, ergießt sich ein heftiges Gewitter mit Starkregen über uns. Das Wasser kann natürlich nicht so schnell vom Boden aufgenommen werden. Es dauert deshalb nicht lange, bis ein See unterm Zelt entsteht. Draußen werden also schnellstmöglich Gräben bei Blitz und Donner geschaufelt und innen alles auf die Isomatten gerettet. Ein perfektes Beispiel dafür, wie man sich während eines Gewitters nicht verhalten sollte. Aber was soll man machen, wenn es weit und breit nichts gibt. Wir sind jedenfalls froh, als das Gewitter endlich vorbeizieht und wir es nur noch von Weitem hören. Als Erinnerung bleibt uns nur der ganze Schlamm im Vorzelt.

Nach Regen da kommt Sonnenschein. Das trifft auch auf den nächsten Morgen zu. Mit dem Unterschied, dass sich bis Kavarna auch noch ordentlich Gegenwind dazugesellt. Dort angekommen finden wir dann aber nicht nur leckeres frisches Baniza, sondern auch eine Waschanlage für unsere Schlammbikes. Blitzeblank biegen wir nach der Stadt auf eine wunderschöne, kleine Küstenstraße ab und können den Blick auf das Meer und die weißen Felsen genießen. Nach einer ständigen Auf– und Abfahrt werden wir auf dem Berg von Balchik mit einem echten Radweg belohnt, der uns fast bis nach Kranevo führt. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr man sich über einen richtigen, separaten Radweg freuen kann. Wir sind jedenfalls für ganz viele Radwege auf der Welt, denn dadurch wird es schließlich auch für Autos viel entspannter.

Auf dem Weg nach Varna radeln wir noch eine Weile am Meer entlang, bevor die Privatstrände der unzähligen Bettenburgen am Goldstrand beginnen und wir am Strand nicht mehr weiterkommen. Wir müssen auf die großen Straßen abbiegen, um in das Zentrum von Varna zu gelangen. Nach einer bergigen Fahrt durch die Stadt, finden wir endliche neue Gaskartuschen für unseren Campingkocher. Danach suchen wir uns ein Hostel und schauen uns zu Fuß ein bisschen in der Stadt um. Wir verlassen Varna am nächsten Tag über die A5 gen Süden. Doch drei Kilometer und zwei große Brücken reichen uns dann auf der Autobahn. Schnell biegen wir wieder ab und radeln auf kleinen Straßen die Küste entlang.

In der Gegend von Shkorpilovtsi stellen wir abends unser Zelt direkt am Strand auf. Am nächsten Morgen starten wir ohne Frühstück und mit nur einer halben Wasserflasche pro Rad. Mit kräftigen Anstiegen geht es die Küste entlang. Die Wege werden irgendwann zu Waldwegen und die nur zehn Kilometer entfernte Stadt scheint noch ewig weit weg. Die Sonne gibt an diesen Tagen noch einmal alles. Irgendwann kommen wir zu einem sandigen Anstieg, der so steil ist, dass wir die Räder gerade so zu zweit hochgeschoben bekommen.  Danach sind es immer noch fünf steile Kilometer bis nach Byala, zum durststillenden Wasser, zum Frühstück.

Nach ein paar Kilometern auf der Bundesstraße entschieden wir uns später wieder für eine immer schlechter werdende Schotterpiste, auf der wir das bergige Kap Emine umrundeten. In dem kleinen, verlassenen Bergdort Emona trafen wir zwei Jungs, die auch mit dem Rad unterwegs und wie wir auf der Suche nach Wasser waren. Wir fanden ein kleines Restaurant, was sogar noch geöffnet hatte. Neben Wasser hatten wir so eine kleine, lustige, gemeinsame Pause bei einer kalten Coke. Für uns geht es danach in der Abendstimmung auf einer hügeligen Piste durch eine steppenartige Landschaft mit Blick auf das ca. 60 Meter tieferliegende Meer. Am Ende finden wir einen wunderschönen Schlafplatz in einer ausgetrockneten Flussmündung am Strand zwischen zwei massiven Felswänden.

Zwischen all den Küstenstädten, die hauptsächlich aus Hotels und touristischen Anlagen bestehen empfängt uns Nessebar mit einem ganz anderen Erscheinungsbild. Kleine, enge, gepflasterte Gassen, alte Häuser aus Stein und Holz, alte Kirchen und antike Ruinen.

Nach ein paar Kilometern auf einer stark befahren Straße freuen wir uns, dass uns die Stadt Burgas nach anfänglichen Schwierigkeiten mit einem schönen Radweg am Meer begrüßt. Das Netz aus guten Radwegen zieht sich durch die gesamte Stadt und das noch viel Schönere daran, sie werden auch genutzt. Dem tristen und grauen Erscheinungsbild der Stadt steht eine frische und lebendige Atmosphäre gegenüber. Wir fühlen uns direkt wohl, aber vielleicht liegt das auch an den ganzen jungen Menschen und den Wind- und Kitesurfern, die wir an der Strandpromenade gesehen haben.
Am Abend kommen wir bei Evgeny unter. Wir dürfen in einem zukünftigen Hostel für Radreisende schlafen, was gerade noch im Bau ist. Neben all den Hochhäusern befindet sich ein altes, kleines Haus mit einem grünen Innenhof, welches einem den Eindruck vermittelt, man sei in einem Dorf und nicht in der Großstadt gelandet. Es wird wohl mal ein wunderschöner Platz werden, denn es herrscht schon jetzt eine lebendige, offene Stimmung. Am nächsten Morgen gibt uns Evgeny noch wertvolle Tipps für die Weiterreise und erzählt uns, wie er sich für das Radfahren in Bulgarien einsetzt und wie das Projekt entstanden ist. 

Essenstechnisch schlagen unsere Herzen in Bulgarien des Öfteren höher, bei all dem frischen Salat (vor allem Schopskasalat), dem leckeren bulgarischen Joghurt, Salzlakenkäse und Baniza, einem bulgarischen Frühstücksgebäck.

Nach einem halben Jahr auf dem Rad und gut 6.000 km quer durch Osteuropa ist es für uns an der Zeit eine längere Pause einzulegen und all die Eindrücke zu verarbeiten. Für unseren „Urlaub vom Reisen“ wollen wir uns eine feste Unterkunft am Meer suchen, doch die Suche ist schwerer als gedacht. All die kleinen Pensionen sind schon winterfest gemacht, aber auch die größeren Hotels haben schon geschlossen und die Städte gleichen einer Geisterstadt. Am Ende finden wir doch noch einen „Block“ in dem wir ein Zimmer finden. Wir sind die Einzigen hier!
Es tut so gut, in einem Bett zu schlafen, eine warme Dusche zu haben und einfach ein paar Tage nichts zu machen. Wobei das mit dem Nichts machen auch nicht so richtig funktioniert. Starker Ostwind schiebt ein paar Wellen in die kleinen Buchten. Wir finden eine Surfschule, bei der wir noch Bretter bekommen. Frei nach dem Motto „Leiden schafft Leidenschaft“ stürzen wir uns in die Wellen und fallen am Abend überglücklich aber völlig kaputt in unser gemütliches Bett.

Nach ein paar Tagen ist es dann für uns wieder Zeit die Komfortzone zu verlassen. Wie könnte dies besser gehen, als mit Nieselregen, Wind und herbstlichen Temperaturen. Wir quälen uns auf die Räder und radeln gen Süden. Die Bäume wechseln ihre Kleider und wäre es nicht so grau, würden sie wohl in schönster Farbenbracht vor uns liegen. In den Straßen liegen immer öfter dicke Baumstämme vor den Häusern, die von den Bewohnern kleingehackt werden. Die Menschen bereiten sich auf den Herbst vor. Vereinzelt wird auch schon der Kamin entzündet und aus den Schornsteinen steigen erste Rauchschwaden. Wir bauen unser Zelt in einem kleinen Wald an der Steilküste auf, nehmen eine frische Dusche aus unserem Wassersack und verschwinden im Zelt.

Am nächsten Morgen starten wir in Richtung Türkei. Wir wählen einen Feldweg, doch nach ein paar Metern stellen wir fest, dass dies ein unmögliches Vorhaben ist. Unsere Räder sind erneut komplett verschlammt! Wir müssen umdrehen und ca. 12 km zurückradeln, um auf die große Bundesstraße in Richtung Türkei abbiegen zu können. Danach radeln wir stetig bergauf und erklimmen das Strandscha Gebirge. Im Dunkeln erreichen wir die Stadt Malko Tarnowo kurz vor der türkisch-bulgarischen Grenze. Wir sind durchgefroren, erschöpft und suchen uns eine Unterkunft.  Auch am nächsten Morgen sieht es nicht besser aus. Dauerregen, Nebel und das Thermometer verharrten bei ungemütlichen 10° C.

Bis zum Grenzübergang geht es nochmal knapp 400 Meter berghoch. Wir erreichen die EU-Außengrenze und dies merkte man auch schon die letzten zwei Tage. Es begegneten uns gefühlt nur Autos der Grenzpolizei. Dann erreichen wir den Pass und somit auch die Grenze. Wir sind etwas aufgeregt, vielleicht hätten wir am Morgen nicht so viel auf der Seite des Auswärtigen Amts lesen sollen.

Am Ende ist es alles halb so schlimm. Unsere Aufregung legt sich. Wir passieren eine Kontrolle nach der anderen, dazwischen stehen wir im Dauerregen und frieren. Dann irgendwann ist es geschafft, wir erreichen die Türkei, völlig durchgefroren. Aber die Rettung liegt vor uns. Es geht nach einer kurzen Abfahrt direkt wieder bergauf.
Als es dann wieder bergab geht hören wir es schleifen, Metall auf Metall, die Bremsbelege sind runter! Also stehen wir auf dem Seitenstreifen der großen Straße im anhaltenden Regen und versuchen mit kalten Fingern die Bremsen zu wechseln. Die Stimmung ist bescheiden…

Und dann ist es wie so oft in solchen Situationen, es kann eigentlich nur besser werden und das wird es auch! Mit neuen Bremsen geht es weiter und wir treffen auf Fabian, der auch mit dem Rad unterwegs ist und der genauso einen bescheidenen Tag hatte wie wir. Die Stimmung hebt sich mit jedem gemeinsamen Kilometer und dann hat er auch noch Naschis für uns im Gepäck! Glücklich erreichen wir zu dritt in der Abendstimmung die Stadt Kırklareli. Als wir durch die quirligen, trubeligen Straßen radeln ertönt der Muezzin. Es ist ein Moment mit Gänsehautatmosphäre, die schlechte Stimmung ist wie weggeblasen und die Vorfreude auf die Türkei riesig. Wir sind da!

Merhaba Türkiye!

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Carola

    Merhaba, liebe Isi und lieber Basti, ein neues Abenteuer beginnt. Ihr seid hoffentlich abgehärtet genug und habt euch nicht erkältet. Ist der Fabian noch ein Weilchen mit euch geradelt?
    Zweimal verschlammte Räder und Bremsen reparieren in Nässe und Kälte. Brrrr
    Ich mache auch immer mal Schopskasalat, das rührt von unseren Genüssen vom Bulgarienurlaub 1993. In der Türkei wünsche ich euch, dass das Wetter frühlingshaft wird, dass ihr also November bis März überspringen könnt.
    Habt eine tolle Tour weiterhin und danke für die Berichte in eurem Blog. Herzlichst Caro

  2. Karen Schröder

    Liebe Radler! Ihr hattet soviel Regen, da wachsen euch ja bald Schwimmhäute… Wie gut, dass ihr die Schlammwüsten verlassen könntet und einen netten Radler namens Fabian getroffen habt. Varna wird als Stadt zur Orientierung von unseren bulgarischen Schülern auch oft genannt. Und die Goldküste ist wohl ein beliebter, bekannter Strand in Bulgarien…. Hier in Deutschland wird gerade 60 Jahre Anwerben erfahren für Gastarbeiter mehr oder weniger gefeiert. Sogar der türkische Regisseur, dein Deutschland lebt, fragt sich, ob die Gastarbeiter vergessen haben zurückzugehen… Gelebte Inklusion? Weiterhin alles Gute wünschen euch Karen und Renate 🤔🍀🍄

  3. Ecki.

    😊Wünsche Euch eine gute Reise.🙋