Georgien ist das siebte Land unserer Reise. Auch diesmal brauchen wir eine Weile, um den Länderwechsel zu verdauen und uns neu einzufinden. Wir sind das erste Mal für längere Zeit ohne unsere Räder unterwegs und sind dabei nicht nur fasziniert und überwältigt von der georgischen Haupststadt Tbilisi, sondern auch vom vielen Schnee im Kaukasus.

Viel Spaß beim Lesen!

გამარჯობა – Gamajorba

Neue Schrift, neue Sprache, neue Kultur, andere Mentalitäten und ein sehr ominöses Aussehen der Autos. Die fehlenden Vorderverkleidungen der Autos haben direkt das Zeug dazu, uns gleich etwas nervös zu machen. Mal sehen, was uns hier in Georgien wohl auf der Straße so erwartet. Aber fürs Erste läuft es ganz gut.

In Gonio scheint heute großer Waschtag zu sein. Überall baumelt die bunte Wäsche zwischen den Häusern auf den Leinen in der Sonne. Also beschließen auch wir gleich mal unsere Räder zu waschen, bevor es nach Batumi geht und biegen in eine Autowaschstation ein. Der Opi sagt uns, dass es noch kurz dauert und holt uns für die Wartezeit extra zwei Plastikstühle und einen Tisch aus der Garage. Kurze Zeit später kommt eine Frau um die Ecke und verköstigt uns noch mit türkischem Kaffee und Naschis. Sie spricht Englisch und übersetzt, dass der Opi es einfach nicht fassen kann, dass wir von Deutschland aus hier her geradelt sind. Er bietet uns gleich noch an bei sich im Haus zu pausieren und zu übernachten, aber leider haben wir schon eine Unterkunft in Batumi gebucht. Deshalb bedanken wir uns herzlich und rollen mit glänzenden Rädern wenig später auch schon auf dem Radweg am Meer in die Stadt.

Bling-Bling-Batumi erscheint uns wie eine Parallelwelt und soll wohl das Las Vegas Georgiens sein. Umso mehr freuen wir uns jetzt schon auf den Tag, an dem endlich der Frühling kommt und wir wieder in der abgelegenen Natur schlafen können. Bis dahin wollen wir uns nun hier einen Plan machen, wie wir den Winter sinnvoll rumbringen können. Gezwungenermaßen führt uns der Geldbeutel dann noch tiefer in die Parallelwelt, denn hier haben wir die günstigsten Unterkünfte finden können und befinden uns nun im 43. Stock eines Hochhauses, wo man sogar im Fahrstuhl einen Druckausgleich machen muss. Willkommen im Paralleluniversum.

Auf den Schreck brauchen wir erstmal „frische“ Luft und spazieren an den Strand. Bei den ganzen verlassenen Bespaßungsbuden wird uns schnell klar, dass hier im Sommer ordentlich der Bär steppen muss. Jetzt ist es eher ausgestorben. Wenig später können wir beobachten, wie einige Kinder sich auf einen E-Scooter-Fahrer stürzen, um ihn zu beklauen und dann schnell weglaufen. Weiter nördlich in der Altstadt wird die Stadt dann doch noch schöner und prompt entdecken wir die Kids wieder beim Klauen. Es wirkt wie ein orchestrierter Auftritt und er wird umso dreister, da sie es sogar vor den Augen der Polizei tun, die wohl schlicht machtlos dagegen ist. Durch diese beiden Situationen bekommt unser erster Spaziergang leider einen bitteren Beigeschmack. Doch es verdeutlicht uns diese zwei Welten zwischen arm und reich, die hier in dieser Stadt aufeinandertreffen, was letztendlich auch am Stadtbild sichtbar wird.

Nichtsdestotrotz laufen wir noch ein wenig weiter durch die Straßen und saugen die Atmosphäre auf. Wir schnabulieren ein georgisches Brot aus einem Fensterverkauf und probieren zum Abendbrot die ersten georgischen Leckereien. Wie man das Khachapuri richtig ist, versuchen wir am Nachbartisch rauszufinden. Bei einem georgischen Wein verdauen wir nun erstmal die ersten Eindrücke, den Landeswechsel und den Grenzkater.

Wir wollen der Stadt kurz entkommen, schwingen uns deshalb auf die Räder und fahren das Tal des Chorokhi entlang. Die Sonne zeigt sich heute von ihrer besten Seite und wir genießen die Zeit in der Natur, die geschmückt ist mit steilen Hängen, Seen und vielen, rauschenden Wasserfällen. Die Vorfreude auf den Frühling erweckt in uns. Doch wieder wissen wir, dass es wohl vorerst bei dieser Vorfreude bleiben wird.

Unsere bisherige Reise verlief im Großen und Ganzen recht planlos. Klar wir hatten erst einmal dieses große Ziel irgendwie bis nach Georgien zu kommen, aber wie und auf welchem Weg haben wir immer sehr spontan entschieden. Doch für die weitere Reise müssen wir uns wohl einen genaueren Plan schmieden, denn die nächsten Ziele gen Osten sind mit umfangreicheren Visaformalitäten als bisher verbunden und auch die Natur sowie mögliche Reisezeiten spielen eine immer größere Rolle. Wahrscheinlich wird es am Ende aber doch wieder so, dass wir die Entscheidung möglichst lange hinauszögern, um unsere Flexibilität zu bewahren.
Unsere Spontanität rührt wohl auch daher, dass das digitale 21. Jahrhundert dies ermöglicht. Falls wir genügend Akku haben, wissen wir immer wo wir sind, können Ziele vorab schon erkunden und wissen stets, dass wir im Notfall auch immer irgendwo eine Unterkunft finden und buchen können. Damit dies auch weiter so läuft, kümmern wir uns um eine georgische Simkarte. Diese bekommen wir problemlos in einer Geschäftsstelle von Magti in Batumi. Das mühelose und vor allem günstige Aufladen der Karte funktioniert an einem der vielen Automaten in der Stadt. Neben dem Aufladen der Simkarte, kann man hier auch ein Zug-, Bus- oder Parkticket kaufen und viele andere Sachen erledigen.

Um den langen, georgischen Winter zu überbrücken, entscheiden wir uns für den richtigen Winter, im Kaukasus, im Schnee! Nach Ewigkeiten wollen wir mal wieder in ein Skigebiet, in diesem Fall ist es das seit einem Youtube-Video weltbekannte Gudauri. Unsere Fahrräder können wir für eine kleine Gebühr bei Seo, unserer Vermieterin aus Batumi, im Büro abstellen. Mit dem Zug fahren wir von Batumi nach Tbilisi und kommen da ein paar Tage unter. Auf dem Flohmarkt und in günstigen Läden suchen wir uns Snowboardsachen, decken uns mit Lebensmitteln vom Markt für die nächsten Wochen ein und nehmen vollbepackt ein Bolt-Taxi in die weiten Berge des Kaukasus.

Mit dem Skiresort Gudauri sind wir dann schon wieder an einem Ort, der mit Georgien recht wenig zu tun hat. Von der Unterkunft bis zu den Liften könnte man sich hier auch in den Alpen wähnen. Einzig die nur sehr seltenen, deutschen, englischen oder österreichischen Wortlaute in der Gondel und die Hunde, die des Öfteren einfach die Piste kreuzen, sagen uns, dass wir wohl etwas östlicher sind.
In den ersten Tagen ist auch hier Schnee eine herbeigesehnte Himmelserscheinung und das auf Zwei- bis Dreitausend Meter Höhe. Über zehn Grad in der Sonne lassen die Pisten nur so dahin schmelzen. Irgendwann entlädt sich der Himmel aber dann doch noch und es schneit und schneit. Einen halben Meter pro Tag, ein ganzes Wochenende und es kommt immer mehr und mehr. Wir haben noch nie so viel Schnee gesehen wie hier. Dazu herrschen Temperaturen von bis zu -15 Grad!
Jeden Tag erwartet uns nun eine wunderschöne Winterlandschaft, wir genießen die Ausflüge in den Tiefschnee und fallen jeden Abend erschöpft, aber glücklich in unser Bett!  

Wir sind Luftlinie fünf Kilometer von der russischen Grenze und ca. zwei Kilometer von dem russisch besetzten Gebiet Südossetien entfernt, als in Europa der Krieg ausbricht. Von dem eigentlichen Geschehen sind wir weit entfernt, doch beunruhigt sind wir trotzdem, wie so viele. In Georgien, dass zu ca. 20 % von Russland besetzt ist, sehen wir vor allem Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine, da die jetzige Situation bei vielen Georgier:innen wohl auch Gedanken an den Kaukasuskrieg 2008 hervorruft. 
Wir kommen auch in den Kontakt mit Russ:innen und Belaruss:innen, die versuchen der Unterdrückung zu entkommen. Manche hinterlassen ihre Familien, weil diese nicht mehr ausreisen dürfen. Andere können nur unter Tränen sagen, dass sie aus Russland kommen und nie gedacht hätten, dass sie sich einmal so für ihr Heimatland schämen würden. Doch wir erfahren auch, dass sie Bekannte haben, ehemalige Freunde, die den Lügen der Propaganda verfallen sind und hinter dem Aggressor stehen.

Ob wir unsere Reise deswegen beenden, steht eigentlich nicht wirklich zur Debatte. Unsere nicht vorhandene Planung über die Weiterreise wird dadurch natürlich beeinflusst, aber an sich mussten wir uns leider schon seit den ersten Überlegungen zu unserer Reise mit unnötigen Kriegen und Krisengebieten beschäftigen. Denn auch wenn sie für uns vielleicht nicht so präsent und vor allem nicht so nah waren, so existierten und existieren sie leider trotzdem. Vor allem auf dem Weg gen Osten kann man dies wohl kaum vernachlässigen. Wir denken dabei oft an zwei Rentner, die wir in Rumänien getroffen haben und die uns von ihrer einstigen Reise auf dem Hippie-Trail nach Indien erzählten. Eine Sache, die heut wohl kaum noch machbar ist… Leider!
Diese schrecklichen Wahrheiten sind sozusagen nicht neu für uns. Genau wie das Corona-Virus auch ein weiteres Gesundheitsrisiko ist, über das wir uns schon vor dem ersten Fall einen Kopf machen mussten. Nur hießen die Krankheiten da nicht Covid19, sondern Malaria oder Tollwut.
Für unsere Reise bedeuten veränderte Umstände also vor allem, dass wir ein weiteres Risiko auf uns nehmen (müssen). Das heißt aber nicht, dass uns diese Umstände nicht auch belasten. Die Frage, ob man bei so viel Leid auf der Welt überhaupt glücklich sein darf, umtreibt uns nicht erst seit dem Beginn unserer Reise.

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

[ M. Ghandi ]

Wir für unseren Teil versuchen also dieses eine Leben was wir haben, so zu leben, wie es uns glücklich macht und dabei jedem Menschen offen zu begegnen und im respektvollen Einklang mit unserer wundervollen Natur zu leben. Also auch, wenn uns gewisse Umstände immer wieder sehr traurig machen, so werden wir unsere Reise fortsetzen und genießen, so lange es uns möglich ist!

Nach einer schneereichen Zeit in Gudauri, geht es für uns wieder zurück nach Tbilisi. Schon beim ersten Mal hat uns diese Stadt verzaubert. Es liegt eine angenehme Atmosphäre in der Luft, wenn man durch die gemütlichen Gassen der Altstadt schlendert. Zwischen shabby und chic präsentiert sich die Architektur im Jugendstil und der Gründerzeit, mit all den verzierten, hölzernen Terrassen und Balkons. Die Stadt wirkt bunt, hipp und jung. Überall entdecken wir kleine Bars, Clubs und Ateliers, die ihre Kunst nicht nur auf den Innenraum beschränken.

Hinzu kommen all die historischen Gebäude, die unzähligen Kirchen, die auf den Hügeln der Stadt ihre Türme emporsprießen lassen sowie die vielen gemauerten Kuppeln des Bäderviertels. Nach den Tagen in den kalten Bergen genießen wir den Ausflug in die heiße, schwefelige Badeanstalt umso mehr.
Doch es gibt noch einen Aspekt, der diese Stadt so besonders macht. Die Kura schlängelt sich teilweise canyonartig durch Tbilisi. Ein Wasserfall mitten in der Stadt schafft eine weitere grüne Oase. Die alten Gebäude stehen in einer Symbiose mit der Natur, deren volle Pracht wir nur erahnen können. Wir stellen uns diese Stadt im Frühling oder Sommer vor, wenn alles blüht, der Wein reift, die warmen Tage die Menschen auf die Straßen treiben und diese mit trubeligem Leben füllen.

Wir sind begeistert und freuen uns schon jetzt auf das Wiederkommen. Doch so weit ist es noch nicht, es ist Mitte März und der Winter legt noch einmal richtig zu und auch Tbilisi wird von Schnee bedeckt. Wir steigen wieder in den Zug Richtung Batumi.  

Auch in Batumi ist der Frühling noch in weiter Ferne. Schneeregen, weiße Berge und Temperaturen um die Null Grad. Subtropisch haben wir uns Ende März etwas wärmer vorgestellt… Wir erfahren, dass es wohl einer der längsten und kältesten Winter der letzten Jahre sei. Doch auch diese kalten Tage werden wir noch überstehen, auch wenn er sich Zeit lässt, irgendwann wird er kommen, der georgische Frühling.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Karen Schröder

    Liebe Isabel und lieber Sebastian!
    Wir haben schon oft gedacht, dass ihr aus euren schönen Fotos und interessanten Artikeln bestimmt gut ein Buch machen könntet… Eine ehemalige Kollegin von der HCA war mit ihrem Freund in Georgien und hat auch interessante Fotos mitgebracht, die noch viele Relikte aus der kommunistischen Zeit zeigten…. Wir wünschen euch gutes Gelingen bei der Visum- etc. Papierbeschaffung!

  2. Caro

    huhu, hier ist Carola.
    Ich kann mich noch erinnern, dass ihr, als in der Ukraine der Krieg ausbrach, Ski fahren wart. Nun verstehe ich alles viel besser. Ihr ward also mit dem Zug in dem schönen Skigebiet. Skisachen vom Flohmarkt, dass erklärt auch so einiges. Ich versuche seit zwei Wochen, mal regelmäßiger in eurem Logbuch zu lesen und es ist so einzigartig, was man da alles zu sehen und zu erfahren bekommt. Ihr seid ja nun hoffentlich gut in Indien angekommen. Ich sende euch mal ein Foto von Omas Globus. Sie bekommt eine Markierung für Indien – Delhi.
    Liebe Grüße sendet euch Carola