Java Barat – Westjava, überrascht uns und bietet uns mehr Radspaß, als wir uns zuvor erhofft haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass unsere Vorfreude auf das Radeln auf der bevölkerungsreichsten Insel der Welt auch Bedenken in uns hervorrief. Zweifel und Widersprüche, was die Verkehrslage oder das anspruchsvolle Terrain betrifft, schwangen stets in uns mit. Trotzdem war es auch keine Option diesen Teil auszulassen, denn wir wollten es ja auch erleben. Einer dieser inneren Zwiespälte, die uns so oft begleiten.

Viel Spaß beim Lesen!

Der Südwesten Javas gehört wohl zu dem am wenigsten bevölkerten Teil der Insel, was wir auch direkt auf der Straße spüren. Der Verkehr ist schon fast angenehm, zumindest teilweise und natürlich vergleichsweise. Man stumpft eben während so einer Reise auch ab und passt sich der Situation immer wieder an.

Verfahren können wir uns eigentlich nicht. Es gibt nur eine Straße, die parallel zur Küste verläuft. Allerdings ist sie meist ein Stück entfernt, so dass wir nur ab und an den Ozean erblicken können. Es sind allerdings nicht nur das Meer, sondern auch die grünen Regenwälder, die wilden Flüsse und ihre Täler, die Reisfelder und die gemütlichen Häuschen, welche dieser Strecke einen wunderbaren Beigeschmack verleihen.
Natürlich hat dies auch seinen Preis. Neben zwei, drei größeren Anstiegen sind wir einem ständigen Auf und Ab ausgesetzt. Fast jedes Mal, wenn wir einen der vielen Flüsse überqueren, fällt die Straße extrem steil ab, führt über eine Brücke und geht ebenso steil wieder hinauf. Wir müssen uns also entscheiden, ob wir lieber den wunderschönen Blick ins Flusstal genießen wollen oder den Schwung nutzen. Oft lassen wir den Kopf nur kurz nach links weichen, um dann kurze Zeit später, schnaufend am Berg zu stehen und mit letzten Kräften in die Pedale zu treten.

Am Abend landen wir meist in einer der typischen, indonesischen Unterkünfte. Einfache Zimmer sind aneinandergereiht wie Reihenhäuser. Vor der Tür findet man oft eine kleine Sitzgelegenheit. Doch das mit Abstand Wichtigste in diesen Tagen ist die Klimaanlage. Wenn wir nach einem völlig kräftezehrenden Tag ankommen, ist die Dusche der erste Schritt zu einem allgemeinen Wohlbefinden. Doch ohne dieses technische Wundermittel, würde dieser Zustand wohl genau so schnell verfliegen, wie die gute Meeresluft.
Mit dem Einsetzen der Dämmerung, beginnen überall die Feuer zu lodern, die die örtliche Müllabfuhr ersetzen sollen. Zudem lodern gerade immer öfter die abgeernteten Reisfelder. Meist wird der Wind mit der untergehenden Sonne weniger und dieses Rauchgemisch in einer feucht-heißen Luft umhüllt die ganze Gegend. Obwohl die frische Brise des Ozeans nur wenige 100 Meter von uns entfernt ist, bekommen wir davon nichts mit.

Die Tage beginnen früh am Morgen. Die Sonne hat es noch nicht über den Horizont geschafft, da sitzen wir schon auf den Rädern. Leichte Nebel- und erste Rauchschwaden liegen über den Reisfeldern. Wenn die ersten Sonnenstrahlen auf die Landschaft treffen und diese in warmen Farben tauchen, ist das einer der schönsten Momente des Tages. Es ist noch nicht so heiß, wir sind geladen mit Energie und der Wind ist noch nicht da. Denn haben wir mal keinen knackigen Anstieg vor uns, bläst uns ein ordentlicher Ostwind entgegen. Ein saisonaler Wind, der uns seit Bangkok begleitet und sich stets unserer Richtung anpasst. Oder besser gesagt, falsche Zeit, falsche Richtung! Für uns ein Grund mehr, so zeitig wie möglich aufzustehen.
Nach den ersten 10 bis 20 km suchen wir uns meist eine Frühstücksgelegenheit. Oft läuft es auf einen kleinen warung mit einer herzhaften Portion Nasi heraus. Durch die zurückgelegten Kilometer ist der Appetit darauf größer, als unsere europäischen Mägen vermuten lassen.

Gestärkt geht es dann weiter in die nächste Fahrradfahrphase. Doch eines Tagen kommen wir nicht weit. Es steht ein wichtiges Telefonat an. Ein Telefonat mit Vorgeschichte.
Denn als wir in Jakarta waren, hat sich gewissenmaßen etwas für unsere Zukunft ergeben. Irene arbeitet an der Deutschen Schule in Jakarta und da hat es sich Isi natürlich nicht nehmen lassen, diese während unseres Aufenthaltes in der Metropole zu besichtigen. Der Zufall wollte es dann so, dass ausgerechnet an diesem Tag eine Kollegin verkündete, dass sie schwanger sei. So nahm das Schicksal seinen Lauf und das Gespräch mit der Schulleitung endete in einem unerwarteten Stellenangebot für das neue Schuljahr bis Weihnachten.
Schwer fiel uns die Entscheidung nicht wirklich. Schon im letzten Jahr, als wir Weihnachten in Vietnam verbrachten, waren wir uns einig, dass wir unser nächstes Weihnachten mal wieder in Deutschland feiern wollen. Doch was bis dahin passiert, war eher offen. Klar, wir wollen unbedingt bis nach Sumbawa fahren mit den Rädern. Der Rückweg aber, war bisher immer nur eine vage Idee in unseren Köpfen – vielleicht im Herbst zurück nach Europa fliegen und dann bis Weihnachten nach Hause radeln oder so ähnlich. Die neue Idee vor der Rückkehr in Jakarta nochmal kurz Fuß zu fassen, Geld zu verdienen und mal wieder einen festen Wohnsitz zu haben, klang für uns  nach einer ganz guten Alternative.
Also stoppen wir mitten in einem Wald zwischen Kautschuckbäumen an einer kleinen Holzhütte, an der Getränke, Snacks und frische Kokosnüsse verkauft werden. Ein paar Herren genießen gerade ihren kopi und nehmen Bim gern in die Runde auf. Isi verschwindet hinter der Hütte und sagt der Schulleiterin zu, denn heute ist der letzte Tag der Entscheidung. Darauf erstmal eine Kokosnuss!

Gegen Mittag suchen wir uns oft einen kleinen Warung oder ein Masakan Padang Resto, was zum Glück nie ein größeres Problem darstellt. Meist haben wir zu dieser Zeit den größten Teil der Kilometer hinter uns gebracht, denn ab jetzt wird es nur noch heißer und noch windiger.
Einmal sitzen wir in einem kleinen Holzverschlag im Schneidersitz und lehnen gegen die Holzblanken. Der offene Raum ist vielleicht 10m² groß und in der anderen Ecke sitzen die drei Frauen, die uns in der sich da befindenden Küche eine kleine Leckerei zubereiten. Das Öl spritzt und knistert im Wok über dem Gaskocher, wenn eine Banane hineingegeben wird. Die andere Frau schöpft Reis aus einem großen Topf und die Dritte stampft gerade eine leckere Soße im großen Steinmörser zusammen, der zur Grundausstattung einer jeden, indonesischen Küche gehört. In der anderen Ecke steht die kleine Auslage an Köstlichkeiten.
Wie so oft kommen wir auch hier ins Gespräch und plaudern. Mit jedem neuen Wort bahasa werden die Gespräche etwas tiefer. Nach einem Tag haben wir vielleicht fünf bis zehn solcher intensiveren Kontakte. Zu dem jede Menge flüchtige Gesichter, die trotzdem etwas hinterlassen. Unser soziales Konto ist hier in Indonesien am Abend eines Tages jedenfalls immer reichlich gefüllt.

Wir entdecken auf der Karte einen Strand, wo man anscheinend ganz gut campen kann. Wir wagen es also endlich mal wieder und wollen unbedingt zelten. Bisher haben uns unsere Erschöpfung, die Temperaturen, die allabendlich lodernden Feuer und vor allem der Gestank des verbrannten Mülls oder das ungeeignete Terrain in Indonesien davon abgehalten. Auf der anderen Seite verspüren wir aber gleichzeitig immer wieder das Bedürfnis, endlich wieder zu zelten und dadurch auch wieder unabhängiger zu sein., weil wir nicht auf das Vorhandensein von Unterkünften achten müssen. Keine schäbigen Zimmer, keine lauten Nachbar*innen oder andere Überraschungen. Einfach nur wir, unser Zelt und die Natur. Wir erinnern uns in Südostasien oft an unsere Zeit in Zentralasien zurück, wo das noch viel einfacher war. Weniger Menschen, mehr Fläche und vor allem nicht so heiße Temperaturen. Die pure Freiheit!

Wir holpern über einen kleinen Feldweg und landen auf einem traumhaft schönen Felsvorsprung direkt über dem Meer. Als wir ankommen, stellen wir direkt fest, dass wir heute nicht die Einzigen mit dieser Idee sind. Es stehen schon ein paar andere Zelte auf der Wiese. Wir suchen uns ein ruhiges Plätzchen fernab mit Blick aufs Meer. Doch wir bleiben nicht lange allein. Der Manager des Platzes stellt uns erstmal die obligatorischen indonesischen Einstiegsfragen. Dari mana? (Wo kommst du her?), Ke mana? (Wo möchtest du hin?) und Sudah makan? (Hast du schon gegessen?) Diese Frage gefällt uns natürlich als hungrige Fahrradfahrer*innen immer besonders. Die kleinen warungs, die auf dem Gelände stehen bieten gegrillten Fisch an und „Duschen“ finden wir in den Toiletten. Schöpfkelle und Wasserbehälter sei Dank! Unseren Wassersack benötigen wir seit Vietnam jedenfalls kaum noch.

Wir unterhalten uns kurz und widmen uns dann dem Aufbau unserer Vila Luftikus. Er beobachtet uns weiter gespannt und es dauert nicht lange, da haben auch die anderen Gäste mitbekommen, dass hier bule angekommen sind. Die Strategien, um ein Foto mit uns zu erhaschen,  sind unterschiedlich. Entweder heimlich beim Vorbeigehen, direkt ganz offensichtlich mit der Handylinse in unsere Richtung oder langsames Heranpirschen und irgendwann tatsächlich den Mut aufbringen, uns nach einem Foto zu fragen. Andere sind viel zu schüchtern, um überhaupt irgendwas zu machen und schauen lieber aus der Ferne ganz gespannt, was wir so treiben. Das Ganze ist natürlich nichts Neues für uns, aber nach einem anstrengenden Tag, wenn man einfach nur seine Ruhe haben will, dann kann das schon nerven. Unsere Strategie lautet, ignorieren, dabei freundlich bleiben, einfach den Blick auf das Meer genießen und irgendwie versuchen sich zu entspannen, um neue Energie zu tanken.
Als am Abend dann noch eine Gruppe Jugendlicher ankommt und sie ihr Zelt wirklich ungelogen einen Meter neben unserem platzieren wollen, obwohl der gesamte Platz noch sehr viel Freifläche bietet, müssen wir aber dann doch nochmal ganz schön atmen. Warum? Die Antwort ist simpel und dennoch für uns oft schwer nachzuvollziehen. Die meisten Indonesier*innen lieben es zusammen zu sein. Ob mit Familie, ob mit Freunden, sie können oft nicht genug Menschen um sich herumhaben und es kann nicht laut genug sein. Selten treffen wir Leute, die nur zu zweit Urlaub machen oder gar allein reisen und oft hören wir die Frage, ob wir wirklich nur zu zweit unterwegs sind. Meistens trifft man sie am Wochenende in riesigen Gruppen. Auch gern mit entsprechend vorbereiteten Gruppenoutfits, z.B. Mützen, T-Shirts oder Bannern, die die großen Reisebusse zieren. Das asiatische Wir trifft auf das europäische bzw. westliche Ich.
In Situationen wie diesen müssen wir manchmal fast lachen, weil es einfach so verrückt ist, wie unterschiedlich man sozialisiert ist. Wie unterschiedlich die verschiedenen Kulturen einfachste Situationen wahrnehmen. Wir mögen es eher ruhig, setzen uns Kopfhörer auf, um niemanden zu stören, schätzen es auch ein bisschen Raum oder Platz für uns zu haben. Hier mag man es halt eher eng aneinander zu zelten und gerne auch mit Karaoke oder lauter Handymusik, sodass die anderen auch in der Nacht noch was davon haben. Wir gehen jede Wette ein, dass die Gruppe neben uns noch nicht mal darüber nachdenken würde, dass diese Nähe für uns vielleicht ein Problem sein könnte oder wir uns durch die YouTube Videos in Dauerschleife in unserem Schlaf gestört fühlen könnten, weil es hier einfach normal ist.

Letztlich sind es ja auch genau diese Unterschiede, die eine Reise so spannend machen. Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass es auch schnell mal anstrengend werden kann, wenn man gerade nicht so viel Energie hat und einfach nur schlafen möchte. Oft ist es in solchen Situationen auch nicht so einfach entsprechend zu reagieren. Dann taucht da dieser immer wiederkehrende, innere Zwiespalt in uns auf, dass wir natürlich auch viel lieber etwas zurückgeben wollen, aber es manchmal auch einfach nicht können, weil die Energie fehlt oder unser Sozialkonto nach einem Tag auf dem Rad in der Hitze schon völlig überfüllt ist. Wer schon mal eine ähnliche Reise unternommen hat, dem kommt dieser Zwiespalt mit Sicherheit bekannt vor.
Denn eigentlich ist es ja etwas Wunderbares, dass Menschen offen auf uns zugehen, dass Menschen an anderen Menschen ehrliches Interesse zeigen und sich wirklich austauschen wollen. Wie zum Beispiel Tabah und Ai Susanti, die ein Stück von uns entfernt mit ihren drei Kindern zelten. Irgendwann trauen sie sich uns anzusprechen. Sie sind sichtlich aufgeregt. Wenig später wissen wir auch warum. Wir sind die ersten Ausländer*innen , die sie treffen und nun trauen sie sich sogar, mit uns Englisch zu sprechen und wir unterhalten uns eine ganze Weile. Diese Momente sind dann immer so unbezahlbar und später die, an die wir uns am liebsten zurückerinnern.

Am nächsten Morgen wachen wir etwas gerädert, aber mit Meeresduft und Wellenrauschen in den Ohren, auf. Die Stative für den Sonnenaufgang sind schon aufgebaut und die Ersten posieren vor den Handykameras. Wir beginnen unseren Tag lieber mit kopi dulu!

Nach einer erneut extrem kräftezehrenden Etappe erreichen wir den Ort Santolo, ein indonesischer Urlaubshotspot bzw. ein sehr beliebtes Wochenenddomizil. Wir sind müde und erschöpft. Der Hänger hinterlässt seine Spuren in Form von schmerzenden Knien und einem seichten Schmerz, der von der Achillessehne bis in den Rücken zieht. Der Körper sagt uns wohl das, was wir selbst schon wissen, aber unterdrücken. Es ist zu viel! Aber wir wollen irgendwie bis nach Batu Karas kommen. Mit schnaufendem und schmerzverzehrtem Gesicht quälen wir uns all die vielen Anstieg hinauf. 

Der Ort lässt vermuten, dass es hier entweder manchmal richtig voll werden kann oder viel zu viele Menschen eine Unterkunft aufmachen wollten. Wir haben bereits mit einer Familie gesprochen und uns ein Zimmer gebucht. Als wir an den anderen vorbeifahren, spüren wir zum ersten Mal auf Java einen aggressiveren Ton, mit dem uns andere Besitzer*innen in ihre Unterkunft hineinziehen wollen. Das sonst so freundliche Miteinander, im Westen würden wir sagen, der konkurrierender Unternehmen, weicht hier wohl dem, wie wir es im Westen bezeichnen würden. Als unsere Vermieterin merkt, dass wir mit einer anderen Frau sprechen, kommt sie schnellen Schrittes und mit lauten Worten aus ihrer Unterkunft.

Es ist noch früh am Tag und wir genießen die letzten Stunden Ruhe auf unserer Matratze im kühlen Inneren. Schon bald ziehen neben uns drei Junge Indonesier ein, die es lieben laute Musik und Youtube-Videos zu schauen und auf der anderen Seite eine indonesische Großfamilie mit einem Baby. Die Konstruktion der Unterkunft versucht gar nicht erst einen ruhigen Raum zu imitieren, da die Wände nur bis kurz unter das Wellblechdach reichen.

Im Raum gibt es eine einzige Steckdose. Damit im multimedialen Indonesien aber alle auf ihre Kosten kommen, liegt die Verteilerdose auch schon bereit. Allerdings funktioniert diese nicht und wir fragen den Mann, ober er noch eine andere hat. Wir stehen vor ihrer Wohnung, die genau so groß ist wie unser Zimmer. Er holt einen Schraubenzieher und öffnet die Box, knotet die Drähte etwas zusammen und probiert es mit seinem Ventilator. Ab und an dreht er sich und er möchte uns die halboffene Verteilerdose zurückgeben. Wahrscheinlich ist es unser verwunderter Gesichtsausdruck, der ihn dazu bewegt uns seine „Verteilerdose“ zu geben. Die Konstruktion besteht aus einer Holzrolle, auf der große Kabel aufgewickelt werden. Auf der Oberfläche sind zwei Verteilerdosen aufgenagelt und mysteriös miteinander verbunden. Wir laden schnelle alle Sachen auf und bringen der Familie ihre Stromversorgung zurück.

Am Abend kochen wir unsere Nudeln unter einem kleinen Holzdach. Die Familie schaut uns dabei neugierig und bewundernd über die Schultern. Die Mutter ist extra mit dem Scooter vorbeigekommen, da sie sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen will. Sie spricht etwas Englisch und so kommen wir noch besser ins Gespräch.
Die Tochter möchte wissen, wo wir denn dieses besondere Gemüse herhaben. Sie habe es hier noch nie gesehen. Unser schnürt es fast den Hals zu. Dieses „besondere Gemüse“ sind Bohnen, Kohl und Tomaten, die wir gekauft haben, kurz bevor wir den Ort erreicht haben. Sie fügt hinzu, dass sie eigentlich immer nur nasi putih, purer Reis, essen. Manchmal Fisch dazu, wenn es gerade welchen gibt.
Als wir der Familie später eine Portion bringen, sind sie außer sich vor Freude und unendlich dankbar. Die Frau bring uns später den Teller zurück und sagt uns erneut, wie glücklich ihre Tochter über das Abendessen war.

5:00 Uhr zeigt das Display auf unserem hell leuchtenden, uns aus dem Schlaf reißenden Smartphone. Wir quälen uns von der Matratze. Draußen ist es noch stockdunkel. Doch wir waren nicht die ersten, die die Ruhe der Nacht gestört haben. Vor ca. 30 Minuten hat bereits ein schriller Muezzinruf alle aus ihren Träumen gerissen. Vor der Tür schauen uns die verschlafen Gesichter der Ältesten aus der Großfamilie an. Wenig später sitzen wir auch schon auf den Rädern und strampeln weiter in Richtung Batu Karas.

Heute halten wir an einem kleinen Holzverschlag zur Frühstückspause. Auf dem offenen Feuer steht eine blecherne Wasserkanne. Dampf entweicht dem Ausguss und vermischt sich mit dem leichten Rauch des Feuers. Der Geruch versetzt uns gedanklich nach Nepal und kurze Zeit später schlürfen wir auch schon einen warmen Tee, auch wenn es hier schon gute 25 Grad hat. Wir sitzen auf Plastikstühlen an einem kleinen Tisch vor dem Warung, kein drei Meter von der Straße entfernt. Mehr Platz ist nicht.
Das ältere Pärchen arbeitet nicht nur hier, sondern wohnt auch in der Behausung. Im hinteren Teil des warungs steht ein großes Bambusbett und ein kleiner Fernseher. Wir dürfen sogar ihr Badezimmer benutzen. Durch eine Holztür gelangt man in den „Anbau“ aus Wellblech. Der Boden ist betoniert und frisch gewischt. An den Wänden hängen große und kleine Schalen aus Bambus, die zum Sieben des trocknenden Reiskorns gedacht sind. Im Hinteren Teil steht der große Wassertank, von dem abgehend die kleine Plastikrohre alles mit Wasser versorgen. Langsam dringt der angenehme riechende Qualm des brennenden Feuers durch die Spalte.

Kurz bevor wir unser heutiges Ziel erreichen wollen wir uns noch einmal die Bäuche füllen. Wir haben einen neuen Mittagsklassiker gefunden, soto ayam – die indonesische Hühnersuppe mit Reis, Bambussprossen und Limetten.
Wir werden mit breitem Lächeln empfangen und schon bald steht die erste Runde vor uns. Meist brauchen wir eine weitere, um unseren Hunger zu stillen. Das wird dann oft mit einem noch breiteren Grinsen quittiert. Auch freuen sich die beiden sehr über unsere wenigen Worte Indonesisch und wenig später ist man im nächsten Gespräch.
Dabei sind diese oft sehr angenehm, da nach kurzen abklären der allgemeinen Fragen, wirkliches Interesse zu spüren ist und wir eben oft genug beobachtet haben, dass sich die unglaublich Kommunikationsfreude nicht nur auf uns beschränkt.
Weniger später schwingt sich der Mann mit dem Teppich auf dem Rücken auf seinen Scooter und braust Richtung Moschee. Es ist Freitag gegen elf und es tun ihm viele gleich. Kurze Zeit später ruft der Muezzin zum Freitagsgebet und wir schaufeln die nächste Portion in uns hinein.

Als wir fertig sind, kommt eine Frau in einem schicken, roten Gewand und einem Bambushut auf dem Kopf am warung vorbeigelaufen. Wir haben sie unterwegs schon gesehen und als wir sie lächelnd grüßen, wird ihr Lächeln nur noch größer. Sie sammelt Plastikflaschen und schleift einen großen Sack hinter sich her. Dann macht sie eine Pause neben uns und unterhält sich mit der Frau aus dem warung. Sie hat vielleicht noch einen Zahn im Mund, doch ihr Lächeln übertüncht dies fast. Dann fragt sie uns etwas, was wir nicht richtig verstehen. Wir fragen, ob sie etwas Essen möchte, doch sie schüttelt den Kopf und wiederholt ihre Frage, sichtlich peinlich berührt, diese erneut zu fragen. Die Frau aus dem warung sagt uns, dass sie um Geld bittet. Wir überlassen ihr unser Wechselgeld und die Frau ist überglücklich darüber und dann zieht sie weiter die Straße entlang auf der Suche nach Plastikflaschen.

Vielleicht haben wir bei der Kanne auf dem Feuer nicht ohne Grund an Nepal gedacht. Auch da sind wir Menschen in einfachsten Verhältnissen begegnet, die trotz all dem in der Lage sind, eine herzliche und ehrliche Freude ausstrahlen zu können. Wir haben es daran gemerkt, wie sich die beiden Frauen unterhalten haben. Für uns fühlte es sich so an, als lag in dieser Haltung weder Arroganz noch Neid, sondern Interesse am Gegenüber.
In diesen Tagen erleben wir viel. Neben den Anstrengungen auf dem Rad und den vielen Menschen, erleben wir auch viele dieser intensiven Momente, die Fragen aufwerfen, uns beschäftigen und uns noch lange begleiten. 

Kurz danach erreichen wir unsere Unterkunft für heute, das ist dann wohl der Vorteil, wenn wir so zeitig aufstehen. Aber unsere Körper würden auch keinen Meter weiter radeln können. Wir sehnen uns sichtlich nach einem klimatisierten Raum und Ruhe.
Die Ortschaft ist wie ausgestorben, nach dem Gebet haben wohl alle ein Nickerchen eingelegt, inklusive unseres Gastgebers. An der Rezeption müssen wir zweimal klingeln, bis der junge Mann aus seinen Träumen hinter der Theke liegend erwacht. Von seinem Äußeren könnte man ihn eher in einer hippen Großstadt vermuten, stattdessen sehen wir ihn später beim Studieren des Korans.
Wir verstauen all unser Sachen und genießen die Dusche und Klimaanlage. Etwas heruntergekühlt setzen wir uns im Schatten der Nachmittagssonne auf den Balkon, gönnen uns einen Kaffee von Gegenüber und beobachten das, was sich auf der Straße so abspielt, ganz inkognito.
Wir haben nur noch einen Tagestappe bis Batu Karas, wir sind völlig im Eimer, aber das nächste Ziel ist greifbar! 

Wieder einmal wird der Weg nach Batu Karas auf den letzten Metern doch nochmal steiler als befürchtet und von Komoot prophezeit. Die Anstiege wollen gefühlt nicht enden. Die Umgebung ist zwar wunderschön grün, aber wir haben mit uns zu tun. Einmal befördert uns immerhin eine Mopedfahrerin wieder mit ins Tal, um den Trailer nach dem Hochschieben unserer zwei Räder unten abzuholen. Ansonsten werden wir nur fleißig belächelt oder bejubelt vom vorbeifahrenden Wochenendverkehr, mal im Auto, mal auf dem Moped mit Fisch und Co an Board.

Als die Sonne dann schon ordentlich prasselt, haben wir es fast geschafft. Nur ein kleiner Anstieg lässt sich am Horizont noch ausmachen. Kopi dulu! Im zusammengeschusterten warung am Straßenrand gibt’s auf den Schreck erstmal eine Erfrischung. Von einem netten Mann aus Bandung, der hier auch gerade pausiert, bekommen wir noch Kaffee geschenkt für den Weg. Auf die Frage, wie die Strecke und die Berge sind, antworten wir mit: „Kurang baik!“ Was in einem herzlichen Gelächter endet. Wörtlich übersetzt heißt dies – weniger gut. Doch sinngemäß heißt es alles von weniger gut bis total beschissen! Die indonesische Höflichkeit und Einstellung spiegeln sich auch in der Sprache wider, d.h. selbst negative Dinge werden versucht entschärft darzustellen und Konflikten stets aus dem Weg zu gehen, um das eigene Gesicht zu wahren. Wir verabschieden uns heiter und nach einem weiteren Hochgestrampel, geht es dann aber wirklich endlich steil bergab.

Wir sind endlich da, wir sind in Batu Karas. Der Strand ist brechend voll, der ganz normale, indonesische Wochenendwahnsinn. Alle schwimmen, spielen im nassen Sand oder ziehen sich mit Bodyboards und Reifen durch die Gegend. Viele Surfer*innen sind allerdings noch nicht im Wasser, aber das wird sich bald ändern, wenn die Flut kommt und mit ihr hoffentlich auch die Wellen. Wir checken ins erstbeste Hotel gegenüber vom Strand ein. Wir sind so fertig, dass wir keinerlei Lust verspüren, noch weiter zu suchen und die Schimmelflecken an der Wand uns in diesem Zustand auch nicht mehr tangieren.
Mittlerweile sind wir, was das angeht, sowieso völlig schmerzfrei. Hauptsache ein Dach über dem Kopf, Hauptsache ankommen. Ankommen heißt in diesem Fall auch, erstmal den Ozean zu begrüßen und so fällt uns nach 70 km radeln nichts Besseres ein, als schleunigst die Bretter auszupacken und Surfen zu gehen. Das Line-Up ist mittlerweile gut gefüllt und wir müssen erstmal klarkommen. Aber so ein bisschen Wasser im Gesicht kann ja nie schaden. Am Abend fallen wir nur noch ins Bett und schlafen wie Steine.

Am nächsten Tag fahren wir nur ein kleines Stückchen weiter ins Dorf hinein und ziehen in einen Lumbung, den wir für die Surfpause hier im Voraus buchten. Vier Nächte wollten wir eigentlich bleiben. Eine Woche später sind wir immer noch hier und es fällt uns wirklich schwer zu gehen. Batu Karas ist echt mal wieder ein wunderbares Fleckchen Erde. Auch, wenn wir bei der Ankunft noch darüber nachdachten, was das hier wohl werden wird, mit so vielen Menschen im Wasser, so haben sich doch immer wieder großartige Surfgelegenheiten ergeben. Der Pointbreak am Batu (Stein), der hier für so eine traumhafte Welle sorgt, beschert uns beiden eine unserer bisher längsten Wellen und wir kommen aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus.

Batu Karas ist zwar ein kleiner, aber sehr beliebter Ort zum Surfen. Die Vielzahl von Wellen, die für Anfänger sowie fortgeschrittene Surfer*innen geeignet sind, ziehen viele Menschen an. Die Region hat sich in den letzten Jahren besonders zu einem Hotspot für Longboarder*innen entwickelt, die den weniger überfüllten Charme von Batu Karas  im Vergleich zu den größeren und bekannteren Surfzielen in Indonesien schätzen. Uns umgibt eine entspannte Atmosphäre abseits des Massentourismus, was hoffentlich noch lange so bleibt. Die lokale Community bemüht sich jedenfalls sehr, dass sich hier alle willkommen fühlen und gleichzeitig aber auch an die Regeln halten.

Auch in unserer Unterkunft mit Garten ist es einfach so entspannt. Zum Glück gibt es eine Klimaanlage für die heißen Nachmittagsstunden. Allein die Muezzingesänge stören die Ruhe ab und an. Besonders hier in Westjava müssen die Kinder schon vor der Schule ständig die arabischen Koranverse singen und das Mikro ist so laut eingestellt, dass es auch wirklich alle hören. Naja immerhin sind wir dann zeitig wach, denn wie heißt es beim Surfen so schön: „The early bird catches the wave!“ Eine Erinnerung daran, dass die besten Wellen oft in den frühen Morgenstunden zu finden sind, bevor der Wind stärker und der Surfspot voller wird. Die ruhigeren Bedingungen und die noch nicht überfüllten Spots machen den frühen Morgen auch für uns zur besten Zeit zum Surfen.

Es herrscht auch im Wasser eine recht angenehme Atmosphäre. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, die lieber ein grimmiges Gesicht ziehen oder abgehobene Surfer*innen, die leider meist aus der westlichen Welt kommen. Die Locals sind allerdings alle echt entspannt und sie haben es verdammt drauf auf dem Longboard zu dancen. Echt bewundernswert. Wir lernen viele nette Leute kennen. Dabei sind wir bei den Indonesier*innen immer wieder erstaunt, wie schnell und gut sie sich unsere Namen merken können und uns beim zweiten Treffen dann immer direkt mit Bim und Isi ansprechen.

Hier in Batu Karas buchen wir auch unsere Rückflüge für Dezember. Allerdings nicht direkt nach Deutschland, sondern nach Amsterdam. So ganz auf das Zurückfahren können wir dann doch nicht verzichten und so wird das zu unserem Kompromiss nach der Entscheidung für Jakarta. „Cycling home for Christmas“ oder so ähnlich! Wir können uns einfach nicht vorstellen nach so einer langen Zeit, einfach in den Flieger zu steigen, in Berlin zu landen und dann mit dem Zug nach Hause zu fahren. Ein bisschen Abenteuer muss schon noch sein…

Die Tage vergehen wie im Flug und nach einer Woche hier und fast jeden Tag zwei Mal surfen sind wir jetzt echt so richtig im Eimer. Alles tut weh, was bei unserer Ankunft hier nach der anstrengenden Strecke natürlich nicht anders war. Jetzt haben wir die Surfmuskeln ausgereizt und morgen geht’s dann wieder aufs Rad. Mal sehen, wie unsere Körper das finden werden. Immerhin hat der zerwindete Ozean uns heute dabei geholfen, guten Gewissens auf die Nachmittagssession oder den Sunset Surf zu verzichten.

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