Wir überqueren den Äquator mit einer großen Pelni-Fähre auf dem Weg nach Jakarta, doch nicht nur die zweitägig Fährfahrt, sondern auch die Tage davor, gehören zu den stressigsten und adrenalinreichsten unserer ganzen Reise.
In den letzten Wochen und Monaten hat sich bei uns schon wieder einiges angestaut. Nachdem wir die Mosaic-School in Thailand verließen, waren wir eigentlich durchgängig on Tour und spürten stets einen gewissen Stress voranzukommen. Ausschlaggebend dafür waren zum einen der Ablauf unserer Visa und zum anderen die nahende Regenzeit. Dazu kommt das äquatoriale, feuchtheiße Klima, welches uns zusätzlich ermüdet und zermürbt. Auch der kaputte Laptop und die defekte GoPro hinterlassen ihre mentalen Spuren. Wir sind einfach etwas angespannt und erschöpft und unser Zustand spitzt sich durch gewisse Kleinigkeiten immer weiter zu. Es ist ein ständiges Auf und Ab!
Melaka gilt als Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Die strategische Lage an der Straße von Malakka ließ die Schiffe, insbesondere von chinesischen Händlern, bereits weit in der Geschichte hier anlegen. Melaka wuchs schnell von einer Siedlung zu einer wichtigen Hafenstadt mit internationaler Bedeutung. Ab dem 16. Jahrhundert mischten auch Kolonialmächte wie die Portugiesen, Niederländer und Engländer mit, um die wichtige Wasserstraße und den Handel fernöstlicher Gewürze unter ihre Kontrolle zu bringen und brachten neue Einflüsse mit. Was heute bleibt ist ein einzigartiges Mosaik einer Stadt, wo verschiedene religiöse Gebäude wie Moscheen, Tempel oder Kirchen harmonisch nebeneinanderstehen, kleine, gemütliche Gassen mit antiken Geschäften auf ein trubeliges Chinatown oder Little India treffen und auch koloniale Bauten, die uns eher an Europa erinnern, nicht fehlen dürfen. Melaka ist ein Ort, an dem man bei einem Spaziergang an jeder Ecke einen Teil dieses einzigartigen Zusammenspiels entdecken kann. Eine Kombination aus Kunst, Kultur, Geschichte und köstlicher Küche. Ein weiteres Beispiel für die Vielfalt von Malaysia.
Auch in Melaka kommen wir nicht zu Ruhe. Einerseits können wir zwar in der schönen Wohnung etwas entspannen und die pittoreske Altstadt genießen, aber auf der anderen Seite bringen uns die organisatorischen Dinge, mal wieder, zur Verzweiflung.
Wir lassen unseren Laptop nicht reparieren, da wir nicht wirklich einen Preis genannt bekommen, sondern eine Spanne von 10 bis 300 € und auch zeitlich ist der Mann eher flexibel unterwegs. Er sagt 2 bis 3 Tage dauert es, vielleicht aber auch mehr, vielleicht auch eine Woche. Zu viele “vielleicht“. Als wir sagen, wir haben nicht so viel Zeit, geht es auf einmal innerhalb eines Tages, was uns dann doch etwas zu suspekt vorkommt. Wir bedanken uns bei ihm und lassen den Laptop mit einem Grab, dem asiatischen Taxiservice, zu uns bringen.
Um die Situation noch einmal anders zu beschreiben, es wird nun also ein Mopedfahrer unseren Laptop in einer zerflederten Tasche aus irgendeiner Hinterhofwerkstat abholen und ich wieder zu uns bringen. Ob wir am Anfang unserer Reise schon zu so etwas bereit gewesen wären? Ist es die Verzweiflung in uns, ein gewachsenes Grundvertrauen oder die erschöpfungsbedingte Gleichgültigkeit?
Das soll natürlich nicht der letzte Aufreger bleiben, denn als wir eines Abends unser Login für die indonesische Visabeantragung überprüfen wollen, bevor wir einen entspannten Abend verbringen, ereilt uns der nächste Schock. Ab dem nächsten Tag ist die Visabehörde für über eine Woche aufgrund des Fastenbrechens geschlossen und es werden keine Visa bearbeitet. Zum Glück schauen wir rechtzeitig nach und doch versetzt es uns in einen weiteren Panik- und Stresszustand. Noch dazu hat sich das Verfahren geändert und wir müssen nun bereits bei der Online-Beantragung ein Rückflugticket hinterlegen.
Wir schieben Geld hin und her, buchen eine Fake-Flugticket und beantragen die Visa auf einer Seite, die immer wieder abstürzt. Als wir die Visa in unserem Posteingang finden, sind wir erleichtert.
Wieder auf den Rädern, strampeln wir gen Südosten, dem Küstenverlauf folgend ohne das Meer wirklich zu sehen. Die Straßen sind voll und der Verkehr ist schnell und rücksichtslos. Manchmal gibt es einen Seitenstreifen, auf dem wir uns etwas wohler fühlen. Doch wir nutzen jede Gelegenheit um auf kleine Straßen abbiegen zu können. Diese kleinen, asphaltierten Wege durch die grünen Plantagen fühlen sich an wie eine Radfahroase, leider sind diese nicht immer asphaltiert bzw. überhaupt vorhanden und noch dazu führen sie im Zickzack durch die Gegend. Was uns an einem ohnehin schon langen Tag noch ein paar extra Kilometer einbringt.
So zieht sich der Weg durch den flachen Süden Malaysias, der uns vor allem den Wechsel aus stark befahrenen Straßen und den endlosen Palmölplantagen bietet. Einmal landen wir direkt in einer solchen, als sich unser asphaltierter Weg zunehmend mit Löchern bestückt und letztendlich in einer kleinen Piste endet. Wir müssen umkehren, da wir das Risiko nicht eingehen wollen, irgendwann noch tiefer in der Plantage zu stecken. Alles zurück, wir sind unglaublich genervt, es ist heiß und schwül und jetzt müssen wir auch wieder auf die große Straße zurück.
Am Abend kommen wir dann bei Mohd via Warmshowers unter. Doch um es gelinde zu sagen, trägt dies nicht zur allgemeinen Entspannung bei. Mohd ist ein herzlicher Mensch, der viel unternimmt und viel gibt. Er kümmert sich um die Dorfgemeinschaft und bezieht viele, vermeidlich abgehängte Menschen, mit ein. Er stampft Projekte aus dem Boden und liebt es Gastgeber zu sein. Doch diese Liebe zu den Gästen ist uns gerade etwas zu viel. Wir kommen kaum zurecht mit unserer Situation, da werden wir ununterbrochen von Mohd ausgefragt. Nassgeschwitzt sitzen wir unter dem schattenspendenden Dach seines Geschäfts und hoffen auf eine leichte Brise, während wir ihm apathisch und halb abwesend vor Erschöpfung kurze Antworten auf seine Fragen geben, die von einem Thema zum anderen Springen und dann schließlich darin enden, dass er Hals über Kopf aufspringt und zum Gebet eilt. Wir genießen die kurze Ruhe!
Als Mohd zurückkommt startet er direkt die zweite Runde der Befragung und Bespaßung, die stets medial festgehalten wird. Irgendwann bringt er uns dann zu unserem heutigen Schlafplatz. In einem kleinen Container auf seiner Wiese, können wir unser Zelt aufschlagen. Die Nacht wird alles andere als erholsam. Der einsetzende Regen bringt kaum Abkühlung dafür umso mehr schwülwarme Feuchtigkeit. Dazu die Vorfreude auf das Fastenbrechen, dass bei vielen mit noch mehr Feuerwerkskörpern ausgedrückt wird sowie die nahe Straße, die sich für den ein oder anderen zur Rennstrecke der getunten, dröhnenden Motoräder verwandelt. Dieser elende Verkehr lässt uns selbst im Schlaf nicht in Ruhe. Wir können Mohd gerade noch davon abhalten, neben unserem Zelt einen großen Müllhaufen abzubrennen…
Am nächsten Morgen erwachen wir gefühlt noch erschöpfter als am Abend. Die feuchte Luft lässt unsere Augen noch zu gequollener erscheinen. Es ist ein besonderer Tag, doch wieder fehlt uns schlicht die emotionale Kapazität, dieser Bedeutung gerecht zu werden.
Heute vor drei Jahren haben wir unsere Wohnungsschlüssel gegen die unendliche Freiheit einer Radreise eingetauscht. Doch einen Gedanken daran zu fassen, etwas zu resümieren, fällt uns gerade schwer. All das, was uns umgibt, ist so einnehmend oder wir stumpfen ab, um von den Eindrücken nicht erdrückt oder noch mehr überfordert zu werden. Es scheint, als funktionieren wir gerade nur noch.
Heute haben wir nur wenige Kilometer vor uns. Einen Katzensprung entfernt, wartet bereits die nächste Warmshowers Gastgeberin auf uns. Oder besser gesagt, die leerstehende, sich im Aufbau befindende Farm von Esther. Sie selbst wohnt in Johor Bahru und baut sich hier eine kleine Oase im Grünen auf. Wir können so lange bleiben, wie wir wollen. Wir genießen die Ruhe, die Möglichkeit einfach die Tür schließen zu können, wenn wir wollen und bleiben direkt einen Tag länger.
Um uns herum wird gerade das Fastenbrechen Idul Fidri gefeiert. Nach einem Monat der Entbehrung feiern die Muslime heute überall in der Welt ihren höchsten Feiertag. Die Straßen sind voll, da alle auf dem Weg zu ihren Familien sind. Festlich gekleidet erwartet die meisten wohl ein stressiger Tag, da es üblich ist, so viele wie möglich aus der Familie während der Festtage zu sehen. Für die Frauen bedeutet es, ein Festmahl vorzubereiten, deren Vorbereitung schon Tage davor begannen. An kleinen und großen Ständen an der Straße hängen bereits seit Tagen die leblosen Körper der Rinder, die zum Fastenbrechern aufgetischt werden.
Wir hätten die Möglichkeit gehabt, uns an einer dieser Festlichkeiten zu beteiligen, aber wir haben es dankend abgelehnt und erfreuen uns heute lieber an der Ruhe.
Als wir nach unserer kleinen Pause wieder auf den Rädern sitzen und uns früh morgens in einem kleinen Restaurant endlich mit den vielen, malaysischen Köstlichkeiten einen kleinen Energiepuffer anfuttern können, erleben wir eine ganz andere Stimmung. Alle sind heiter und sitzen laut plappernd an den Tischen. Alle wirken freudig und gelöst. Diesmal mischt sich die ganze Vielfalt Malaysias an den Tischen. Vielleicht hätten wir zu einer anderen Zeit auch ein anderes Malaysia erlebt.
Zurück auf der Straße kommen wir schneller an unsere Stressgrenze als uns lieb ist. Auf dem Weg nach Johor Bahru wird der Verkehr immer dichter und rücksichtsloser. Die Autos und Lkw halten kaum Abstand und rasen an uns vorbei. Wir sind unglaublich genervt und gestresst, was für ein Höllentrip auf dieser Straße! Freundliche Miene zum bösen Spiel machen und zeigen wir schon lange nicht mehr gegenüber den rücksichtslosen Fahrern. Am Ende quälen wir uns bis zu unserem Ziel und nehmen jeden Umweg in Kauf, der uns von dieser Straße fernhält.
Wir erreichen die letzte Stadt in Malysia, Johor Bahru. Ganz hier in der Nähe ist der südlichste Punkt vom eurasischen Festland. Es ist ein verrücktes Gefühl. Morgen verlassen wir die riesige Landmasse Eurasiens über eine Brücke nach Singapur!
Am nächsten Morgen verfliegt die euphorische Stimmung schneller, als uns lieb ist. Im Internet schauen wir nach dem Fahrplan für unserer Fähre nach Jakarta. Der Schock flimmert über den Bildschirm. Keine Fähre für den nächsten halben Monat! Das kann doch nicht wahr sein! Es sollte doch mindestens eine pro Woche geben! Wir werden direkt etwas panisch, denn es würde bedeuten, dass wir hier festsitzen.
Wir aktualisieren die Suche und vergrößern den Zeitraum. Es ploppt noch eine Fähre auf, die allerdings morgen von Batam nach Jakarta übersetzt. Sie ist fast ausverkauft! Auch von der Nachbarinsel Bintan finden wir eine Fährfahrt nach Jakarta, allerdings auch schon übermorgen und fast ausverkauft! Die beiden Inseln gehören bereits zum indonesischen Archipel und können mit einem Speed Boot von Singapore aus erreicht werden.
Wir haben bei dieser Sache wohl zu sehr auf Aussagen aus der World Bicycle Community verlassen, wonach die Fähre meist mittwochs ablegt. Wir hatten einfach zu viel um die Ohren, um selbst Fährpläne zu prüfen.
Im gleichen Moment hilft uns eben diese Community auch direkt wieder weiter, es ist so etwas Wertvolles. Wir schreiben eine andere Radfahrerin an, die morgen von Batam nach Jakarta aufbricht. Sie erzählt uns, dass sie das Ticket über eine Freundin, die bereits in Indonesien ist, online gekauft hat. Als bule, wie in Indonesien europäische Ausländer oft genannt werden, ist es nicht möglich online ein Ticket zu kaufen. Also rufen wir ganz überstürzt und aufgeregt unseren Freund Ardhy an. Es ist ein kleiner Lichtblick an diesem Morgen, als er sagt, dass er uns helfen kann.
Hektisch füllen wir die Online-Reservierung aus. Dann stürzt die Seite ab, jetzt gibt es auf einmal keine Tickets mehr! Das kann doch nicht wahr sein! Wir versuchen es nach einigen Minuten erneut und wir kommen zumindest in das Formular. Unsere Reisepassnummer wird nicht akzeptiert. Wir lassen alle Buchstaben weg und nutzen einfach so viele Ziffern, wie bei der indonesischen Passnummer. Es hat geklappt!
Bezahlt werden kann über ein indonesisches Bankkonto oder über einen indonesischen Supermarkt. Letzteres beschert uns an diesem Morgen ein kleinen Schmunzler. Auch hier haben wir Dank Irene und Ardhy unser indonesisches Ass im Ärmel. Erleichtert und glücklich packen wir überstürzt unsere sieben Sachen. Wir checken gerade noch pünktlich aus. Dabei haben wir die ganze Zeit bereits Warnmeldungen bekommen, dass es teurer wird, wenn wir die Schlüssel zu spät abgeben.
Es regnet in Strömen und wir sitzen unter dem Außendach vorm Hotel und sortieren uns nach der morgendlichen Achterbahnfahrt erst einmal. Dann kommt auch endlich die Bestätigung und unser E-Ticket als E-Mail. Wir haben es! Doch die Anspannung kehrt direkt zurück. Ein Satz auf diesem Ticket ist etwas schwer zu übersetzen. Wir wissen nicht, ob wir unsere Tickets mindestens 24h vor oder innerhalb 24h vor der Abfahrt in ein richtiges Ticket eintauschen müssen. Auch Ardhy ist sich nicht sicher. Ein klarer Gedanke fällt schwer und wir entscheiden uns auf Nummer sicher zu gehen und bereits heute auf die Insel Bintan zu fahren, was wiederum bedeutet, dass wir im Eiltempo durch Singapur rasen müssen, im Regen.
Wir suchen uns ein Café und füllen unseren Mägen mit etwas Gepäck, um wieder etwas klar denken zu können. Es sollen die entspanntesten zehn Minuten des Tages werden. Doch diese Stimmung ändert sich schlagartig, als wir bei der weiteren Planung feststellen, dass die Fähre nach Bintan nur zweimal täglich verkehrt. Es ist gerade gegen halb zwei und die letzte Abfahrt für heute ist um 17:40 Uhr. Wir befinden uns direkt wieder in einem adrenalinreichen, aufregenden und chaotischen Panikmodus.
Hektisch stopfen wir uns die letzte halbe Zimtschnecke in den Mund und schwingen uns hektisch auf die Räder. Es regnet noch immer und der Blick in den Himmel verspricht keine Besserung. Die Zeit ist knapp, wir müssen über die Grenze und dann noch ca. 50 Kilometer durch Singapur bis zum Hafen.
Über eine autobahnähnliche Straße gelangen wir zur Grenzstation. Die Wegführung ist etwas unübersichtlich. Alles ist auf Brücken gebaut. Über und unter uns verlaufen weitere Spuren und wir hoffen einfach, dass wir auf der richtigen sind. Der Checkpoint ist dann auch für uns etwas besonders. Es fühlt sich eher an, als ob wir in eine Drive-Through Moped Warteschlange bei McDonalds als an einem Grenzübergang anstehen.
Das Dach bietet nur für ca. zwei Mopeds Schutz. Die Regentropfen plätschern auf uns ein. Kurz durchatmen, wir können ja gerade sowieso nichts machen. Einen Augenblick später haben wir auch schon den Stempel im Pass.
Über eine langgezogene Brücke verlassen wir das eurasische Festland. Singapur, die Stadt der Löwen, wie es aus dem Sanskrit überführt ist. Was für ein Klang in den Ohren, was für ein Moment, mit dem Fahrrad nach Singapur! Dieser Stadtstaat, der so weit weg ist von unserer Heimat, der ein gewisses Fernweh hervorruft, wenn man ihn hört. Was für ein Moment, wenn man doch die Stimmung dafür hätte, diesen auch wirklich wahrzunehmen. Stattdessen sind unserer Gedanken und Blicke stets auf die Uhrzeit gerichtet. Auf der anderen Seite der Brücke läuft alles unkompliziert, wir bekommen nicht einmal einen Stempel. Die Einreise ist lediglich digital im Reispass hinterlegt.
Wir verlassen lieber schleunigst den Express Way, bevor wir, in einem der strafenreichsten Länder der Welt, auch noch zur Kasse gebeten werden. Schon bald finden wir uns auf einem Radweg wieder, dessen Netz die ganz Stadt überspannt. Eigentlich ein Traum, doch für uns beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und die vielen Ampeln, an denen man hier auch noch anhält, wenn sie rot leuchten, lassen uns fast verzweifeln. Auf der GPS-App steht die Ankunftszeit 17:01 Uhr. Wir fahren so schnell es geht und auch die Wolken geben nochmal alles.
Jedes Mal, wenn sich die Ankunftszeit um eine Minute verringert, kommt einer neuer Schwapp Hoffnung in uns auf. Dann ist der Akku leer, wir stöpseln die Powerbank an. Unsere Finger sind durchweicht und wir können das Smartphone nur sehr schwer bedienen, weil alles nass ist und das Touchscreen nicht auf unsere aufgeweichten Finger reagiert. Die ganze Aktion kostet ein paar Minuten und versetzt uns in einen halben Nervenzusammenbruch. Wir motzen uns an, sind unglaublich gestresst. Dann fangen wir uns und strampeln wieder was das Zeug hält. Die Ankunftszeit liegt jetzt bei 17:03 Uhr! Es ist ein Wechselbad der Gefühle, zwischen Resignation und Hoffnung. Wir befinden uns in einem Zustand der Anspannung und der gefühlt dauerhaften Adrenalin-Ausschüttung. Dieser Zustand, den man hat, wenn man ein entscheidendes Sportereignis verfolgt und vor Anspannung kaum zuschauen kann oder wenn ein dramatischer Thriller kurz vor der Auflösung steht. Uns begleitet dieser Zustand nun schon über mehrere Stunden!
Wir erreichen eine große Kreuzung, die GPS-App sucht eigenständig einen neuen Weg. Die Ankunftszeit wechselt auf 17:13 Uhr! Wir sind wieder in einem Tal. Das kann doch nicht wahr sein. Es ist eigentlich nicht machbar, doch das wollen wir nicht wahrhaben. Also radeln wir unerbittlich weiter. Dann stürzt Isi! Der Radweg ist überzogen mit einer grünen, moosigen Schicht. Im Dauerregen ist es glatt wie Eis!
Zum Glück ist außer einer Schürfwunde am Knie nichts weiter passiert. Aber es ist der Moment, in dem wir uns klar machen, dass wir die Fähre eigentlich nicht erreichen können. Die Anspannung löst sich, die Adrenalinzufuhr bricht ab und wir bleiben zurück mit einer ahnungslosen Leere in uns.
Das Ganze ereignet sich vor einer Tankstelle. Wir schieben unsere Räder unter das Dach und sammeln uns kurz. Bim versucht sogar noch einen Transporter anzuhalten. Doch das ist an einer dreispurigen Schnellstraße wohl mehr der Verzweiflung geschuldet. Wir fragen nach WIFI, doch es gibt kein öffentliches WLAN. Ein Mann wird auf uns aufmerksam und versucht uns zu helfen. Er möchte uns einen Transport zum Hafen organisieren, doch es ist zu teuer und dauert auch ohne Fahrrad mittlerweile zu lang.
Dann kommt Winni und bietet uns einen persönlichen Hotspot an. Sie arbeitet an der Tankstelle und möchte uns ebenfalls helfen. Doch irgendwie finden wir keine Lösung. Dann fragen wir sie, wie sie denn diesen Satz auf unserem E-Ticket versteht. In Singapur ist Malaysisch, was dem Indonesischen sehr ähnelt, eine von vielen gesprochenen Sprachen. Ihre Antwort erfüllt uns mit Erleichterung, denn sie sagt, wir können erst 24h vor Abfahrt das Ticket umtauschen. Das würde bedeuten, wir können ganz entspannt morgen mit der Fähre nach Bintan fahren. Als wir ihr sagen, wie wichtig diese Aussage für uns ist, fragt sie lieber nochmal ihre Kollegin, die wiederum die gleiche Antwort wie Ardhy gibt. Daraufhin diskutieren die beiden etwas länger. Winni überzeugt ihre Kollegin von ihrer Variante. Wir haben ja sowieso keine andere Möglichkeit.
Dann kommt der Chef der Tankstelle aus dem Hinterraum und gesellt sich zu uns. Er ist keineswegs sauer, dass Winni uns die ganze Zeit hilft und nicht ihrer Arbeit nachgeht. Er ermutigt sie nur eher noch, uns noch mehr zu helfen. Als wir die Geschichte mit dem Happy End erzählen, versetzt er uns mit seiner Aussage in eine erneute Aufregung. Er meint, dass morgen Sonntag ist und die Fähre nach Bintan bestimmt ausverkauft ist und fragt, ob wir denn schon ein Ticket haben. Winni sieht unseren entsetzten und müden Gesichtern die Handlungsunfähigkeit wohl direkt an und geht in die Offensive. Über eine App bucht sie uns Tickets für morgen und wir sind einfach nur erleichtert und dankbar!
Die Geschichte wendet sich zum Guten und wir können nun doch noch eine Nacht in Singapur bleiben. Eigentlich wollten wir zwei Nächte bei Hannah und Heiko unterkommen, doch das war der Plan vorm heutigen Morgen. Zwischenzeitlich haben wir ihnen schon panisch ganz abgesagt. Ihre Wohnung ist nur zwei Kilometer von der Tankstelle entfernt und wir sind überglücklich, dass sie uns nach diesem Tag eine Unterkunft bieten, in der wir uns direkt Willkommen und heimisch fühlen.
Die beiden sind selbst vor ein paar Jahren mit dem Rad von Hamburg nach Singapur geradelt, eine Strecke, die ihre beiden Heimatstädte verbindet. Nachdem wir etwas heruntergekommen sind, sitzen wir gemeinsam auf der Couch und betrachten die riesige Weltkarte an der Wand. Sie verraten uns, dass sie hier einst einen Fernseher hängen hatten, doch diese Karte gibt ihnen einfach viel mehr.
Uns wird bewusst, wie weit wir von zu Hause weg sind. Wir spüren die Entfernung bei Blick auf die Karte so deutlich. Es ist meditativ, dieser Blick auf die Weltkarte. Doch meist hält diese meditative Ruhe nur kurz und schon erklingt eine neue Geschichte von einem aus der Runde, die sich irgendwo da, auf dieser riesigen Karte abgespielt hat. Wir haben einen wunderschönen Abend mit den beiden und sind dann doch etwas traurig, dass wir am nächsten Morgen schon wieder losmüssen.
Am nächsten Morgen starten wir zeitig, aber mit einer gewissen Entspanntheit. Wir haben alles versucht und können uns nur noch überraschen lassen, ob es funktioniert oder nicht. Singapur rauscht an uns vorbei und heute genießen wir die Radwege in vollen Zügen.
Als wir an der Fährstation ankommen, wird uns deutlich, dass wir das Prozedere gestern nie in der verbleibenden Zeit hätten schaffen können. Es gibt mehrere Schalter für unterschiedliche Unternehmen. Das Gepäck wird wie an einem Flughafen aufgegeben und zu guter Letzt müssen wir durch eine Sicherheitskontrolle und werden durchleuchtet. Uns ist das alles egal, wir freuen uns einfach nur auf Indonesien!
Selamat datang di Indonesia!
Bintan ist eine der 15.708 Inseln des indonesischen Archipels, welches über 270 Millionen Menschen beheimatet. Es ist das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt! Zwischen den westlichsten und östlichsten Inseln liegen über 5.000 km. Indonesien, was vor allem aufgrund der niederländischen Kolonialzeit zu einer Einheit gewachsen ist, beheimatet viele eigenständige Kulturen. Man spricht Javanisch oder Sulawesi, in Bali gibt es Hindus und in Flores Christen. Indonesien bietet eine riesige Vielfalt und wir freuen uns sehr darauf, das vulkanische Inselreich nun auch mit unseren Fahrrädern zu entdecken. Doch im Moment freuen wir uns vor allem über das Dach, welches uns vor dem heftigen Regenschauer schützt. Pünktlich mit dem Erreichen der Insel setzt auch der Starkregen ein.
Als sich der Regen legt, radeln wir zur Geschäftsstelle der Fährgesellschaft Pelni, denn wir wollen endlich Gewissheit, ob unsere Tickets für die morgige Fährfahrt auch gültig sind. Achja und dann ist da auch noch eine weitere Ungereimtheit, die wir gern geklärt hätten. Die kleine Insel Bintan hat nämlich zwei Häfen und wenn wir den Namen des Hafens, Tanjung Pinang Kijang, der auf unseren E-Tickets steht bei google eingeben, werden beide angezeigt. Tanjung Pinang ist die Stadt im Westen und Kijang im Osten. Dazwischen liegen ca. 20 Kilometer.
Als wir das Büro erreichen, ist niemand anzutreffen. Ein kleines Schild weist auf die Idul Fidri Ferien hin. Das Fastenbrechen liegt zwar nun schon ein paar Tage hinter uns, die Feierlichkeiten gehen aber weiter.
Nun sind wir bereits in einem solchen Zustand angekommen, wo wir diese Botschaft zwar mit einem kleinen Entsetzen aufnehmen, irgendwie aber auch in einer Stimmung sind, in der uns alles egal ist. Wir kontaktieren Rasmus, einen Radfahrer, den wir letztes Jahr auf Sumbawa getroffen haben. Er erzählte uns von dieser Fähre und ist unsere Rettung. Er schreibt direkt zurück und sagt, dass die Fähre im Osten abfährt! Also überqueren wir die Insel und fahren direkt zum Hafen, an dem bereits die Tore geschlossen sind. Allerdings entdecken wir einen Mitarbeiter mit einer Pelni Uniform. Wir zeigen ihm unser E-Ticket und er erwidert mit einem Lächeln im Gesicht, dass wir das alles morgen früh machen können. Die Art und Weise, wie er es sagt, gibt uns Gewissheit, dass wir richtig sind und wir morgen wirklich einchecken können.
Am nächsten Morgen reißt uns der Wecker aus dem Schlaf. Viel davon haben wir in den letzten Tagen, gar Wochen nicht bekommen. Entsprechend müde, aber doch etwas aufgeregt rollen wir die wenigen Kilometer zum Hafen, wo wir nun endlich unsere E-Tickets in einen richtigen Boardingpass umtauschen können. Dazu bekommen wir einen kleinen Papierschnipsel mit einer Nummer, wie man sie aus deutschen Ämtern kennt. Gut eine Stunde später, wir wollten ja überpünktlich sein, beginnt der Check-in. Wahrscheinlich wurde das Papierschnipsel-System eingeführt, um noch größere Chaos zu verhindern. Wir sind um geben von unzähligen Menschen, die alle auf die Fähre wollen. Aber zumindest hier läuft vorerst alles geordnet.
Männer in Tarnuniform rufen die Nummern durch ein Megafon und so verschwindet eine nach dem anderen in der Ticketkontrolle. Wir bekommen einen kleinen Stempel auf das Handgelenk gedrückt, müssen unser Gepäck durchleuchten und dürfen anschließend in der nächsten Wartehalle Platz nehmen. Es ist zwar noch früh am Tag, doch in der Halle mit den hunderten von Menschen, ist es bereits drückend warm.
Ein wohltuendes Gewusel spielt sich um uns herum ab. Es haben längst alle bemerkt, dass heute auch ein paar bule mit an Bord gehen. Der ein oder die andere schleichen sich immer wieder um uns herum. Manche fragen einfach, andere schicken ihre Kinder vor, um am Ende an ein Selfie mit uns zu kommen.
Dann öffnen sich die Tore und die Menschen strömen geordnet zur Laderampe, die in Form einer Treppe auf die Fähre Bukit Raya führt. Wir stellen uns etwas abseits und beobachten das Ganze und warten auf einen ruhigeren Moment, um die Räder und Taschen hinaufzutragen. Natürlich stehen auch direkt zwei, drei Männer bereit, die uns dabei helfen wollen. Ein kräftiger Mann in Tarnuniform begrüßt uns mit breitem Lächeln auf der Fähre und führt uns mit den Rädern zu einem Platz, wo wir sie abstellen können. Im Anschluss posieren wir mit ihm für das nächste Foto.
Wir kramen ein paar Sachen aus den Taschen und lassen unsere Räder stehen. Ein unsicheres Gefühl haben wir dabei nicht. Eine breite Treppe führt uns zu den unteren Decks, der sogenannten Holzklasse. Die Orientierung fällt anfangs etwas schwer, doch irgendwann finden wir unsere „Kabine,“ die wir uns in diesem Fall mit gut 90 anderen Menschen teilen. Unser „Bett“ ist je eine von sieben Matratzen, die in einer Reihe liegen. Am Kopfende, sind wir durch eine kleine Metallstange von der nächsten Kopfreihe getrennt. Zu unseren Füßen trennt uns ein schmaler Gang vom nächsten Mattenlager. Willkommen in unserer Wohnung für die nächsten zwei Tage.
Unsere Mitbewohner lernen wir auch direkt kennen. Neben uns liegen drei junge Frauen aus Bandung, deren größte Sorge ist, dass sie auch stets genug Makeup aufgetragen haben. Eine von ihnen ist hochschwanger und falls es demnächst so weit ist, soll sie den kleinen Prinzen doch Mohammed Bukit Raya nennen. Das jedenfalls schlägt scherzend der Mann von Gegenüber vor. Er ist Journalist und mit einem Freund auf dem Weg nach Jakarta. Die beiden teilen sich die Liegereihe mit einem älteren Pärchen, die uns auch schon die ganze Zeit anlächeln. Zu unseren Köpfen versammeln sich zwei oder drei Familien mit einigen Kindern. Wir haben Glück, dass die Kabine nicht randvoll ist und wir eigentlich relativ viel Platz haben, da haben wir auf jeden Fall schon andere Sachen gehört.
Noch bevor wir ablegen, beginnen die allgemeinen, indonesischen Fragerunden. Doch sobald alles geklärt ist, sind alle glücklich und die Handykameras verschwinden auch wieder. Wir stellen auch fest, dass dieses Frage-Antwort-Spiel nicht nur auf uns begrenzt ist. Auch während der Fahrt kommen immer wieder neue Menschen vorbei, setzen sich auf irgendwelche Betten und unterhalten sich, als kennen sie sich schon ewig. Meist beginnt das Gespräch mit dari mana? – Woher kommst du? Falls es dann noch ein Match gibt und beide Gesprächspartner*innen aus der gleichen Stadt kommen, ist man sowieso so gut wie eine Familie. Die drei Frauen neben uns scherzen und unterhalten sich mit einem jungen Mann, der mit auf ihrer Matte sitzt, als wären sie alte Schulfreunde. Später stellt sich heraus, dass sie lediglich aus der gleichen Stadt kommen, aus der 2,5 Millionenstadt Bandung.
Wenn wir in diese Frage-Antwort-Spirale geraten, sind wir mittlerweile etwas ausgelaugt und können unserem Gegenüber meist nicht mit gleicher Energie antworten. Doch hier ist es anders. Es ist belebend zu sehen, dass das Gespräch nicht nur auf die Anfangsfloskeln beschränkt ist, dass man nicht dauerhaft im Mittelpunkt steht, dass man nach anfänglicher Aufregung auch nichts Besonderes mehr ist, da alle miteinander in Gespräche verflochten sind.
Die Fähre schippert gemächlich über die ruhige See. Durch eine kleine Lucke kann man draußen auf das türkise Wasser, das endlose Meer blicken. Wir erfahren, dass die große Lücke im Fährzeitplan wohl auf einen Sturm zurückzuführen ist. Die Bukit Raya sollte bereits vor einer Woche auf dem Weg nach Jakarta sein, doch aufgrund eines Tropensturmes wurde die Abfahrt immer weiter verschoben. Vielleicht sind auch deshalb so viele Plätze leer und bescheren uns ein relativ angenehmes Klima.
Drei Mal am Tag bekommen wir eine Portion Essen: Reis, etwas Gemüse und lappiges Hähnchen. Jedes Mal. Der lustige Journalist steuert uns stets eine seiner Packungen bei. Er habe nicht so viel Hunger und als wir es annehmen, findet er eine neue Aufgabe. Ab jetzt ist er stets darauf bedacht, dass wir auch immer ausreichend Essen haben. Manchmal haben wir kaum die Augen aufgemacht, da wirft er uns die bohrende Frage entgegen, mau makan? – Möchtest du essen?
Irgendwann nimmt der ältere Opi von gegenüber neben uns Platz. Er schaut schon seit einiger Zeit auf sein Smartphone und verfällt dabei immer wieder in ein freudiges Lächeln. Nun will er uns also auch zeigen, was er da über Stunden anschaut. Es ist das traditionelle, indonesische Schattenpuppenspiel Wayang. Wir können seine Begeisterung nicht nachempfinden, doch das stört ihn nicht daran, uns immer weiter das Smartphone vor die Nase zu halten. Irgendwann winden wir uns aus der Situation und der Opi versinkt wieder hingebungsvoll in seiner Theaterwelt.
Vielleicht kommt uns nun die ganze Erschöpfung und Müdigkeit zu Gute. Wir liegen einfach nur auf unserer Matte, dösen vor uns hin und finden auch nachts relativ guten Schlaf, trotz Großraumabteil mit Neonlicht. Als ob die Müdigkeit die Strapazen und Langweile einer solchen Fahrt aufsaugt.
Ab und an schlendern wir über das Schiff, trinken eine Kaffee mit endlosem Blick in die Ferne, schwatzen hier und da ein wenig, entdecken einen kleinen Markt, der auf einmal neben unseren Fahrrädern aufgebaut wurde und sehr gut besucht ist, bis wir am Ende wieder auf unseren Matten in Tagträumen versinken.
Irgendwann ist es dann soweit und die Bukit Raya überquert den Äquator! Ab jetzt sind wir also auf der Südhalbkugel! Verrückt!
Der zweite Abend soll hingegen weniger ruhig verlaufen. Im Laufe des Nachmittags verbreiten sich die Nachrichten, dass heute Abend ein Fußballspiel im TV läuft. Oft wird die Nachricht mit leuchtenden Augen und einer gewissen Aufgeregtheit entgegengenommen. Es wirkt als versammelt sich das halbe Deck in unsere Kabine und auch auf unseren Betten, da eben hier der beste Blick auf den kleinen Fernseher zu erhaschen ist. Bei den Emotionen, die durch den Raum schwingen, könnte man denke es ist gerade das WM-Finale, dabei läuft lediglich eine Vorrundenpartie der U21 Asienmeisterschaft zwischen Indonesien und Katar.
Etwas zerknirscht und mit etwas Verspätung erreichen wir am späten Vormittag den Hafen Tanjung Priok Jakarta. Als die Ladeluke öffnet strömen die Menschen heraus. Immer wieder lösen sich einzelne Personen aus dem Strom, kommen zu uns und verabschieden sich mit freundlicher Geste. Zu guter Letzt schieben auch wir unsere Räder über die steile Rampe und Treppe nach unten. Wir sind in Jakarta, der (noch) Hauptstadt Indonesiens.
Doch nachdem wir uns kurz gesammelt haben, die Taschen neugepackt haben, beginnt auch schon das nächste Abenteuer. Vor uns liegen gute 40 Kilometer quer durch die luftverschmutzte Metropole!
Schon nach wenigen Metern sind wir zurück in einem hochangespannten Modus, wir haben noch nicht einmal das Hafengelände verlassen und schon spüren wir, was es heißt in Jakarta mit dem Rad unterwegs zu sein. LKW mit Containern beladen brausen an uns vorbei. Die dröhnenden, staubaufwirbelnden und beängstigenden Kolosse halten kaum Abstand. Was für ein Start…
Schon bald haben wir die besagte Komfortzone jedoch verlassen und jetzt mischen sich weiter Mopeds, Autos, Busse und LKW in den dichten Verkehrsstrom. Wir finden uns auf einer vierspurigen Straße ohne Seitenstreifen wieder. Zudem ist die Straße übersäht mit Schlaglöchern, wenn man Glück hat, werden größere Löcher mit orangen leuchtenden Pylonen gekennzeichnet, meist jedoch soll ein Ast oder ähnliches auf die Gefahr hinweisen, die einen direkt in die Kanalisation befördern würde. Wir müssen also nach links, rechts und vorn schauen und am besten alles gleichzeitig. Noch dazu sollten wir auch den richtigen Weg finden und mit einem Auge aufs Smartphone schielen, dass in der starken Mittagssonne wenig Kontraste für den Durchblick zulässt.
Wir suchen uns eine andere Straße, doch auf einmal landen wir auf einer schlammigen Piste, obwohl in der GPS-App eine große Straße dargestellt ist. Wir sind gereizt und völlig erschöpft, nach nicht einmal drei Kilometern. Wie sollen wir diese Stadt nur überstehen?
Es hilft alles nichts, alle Wege führe scheinbar in eine Sackgasse und so müssen wir zurück auf die große Straße. Wir reißen uns zusammen und radeln einfach weiter inmitten der großen Blechlawine.
Irgendwann biegen wir endlich ab. Kurze Zeit später stehen wir an einem Bahnübergang, die Schranke ist unten, ein ohrenbetäubendes Signal deutet mehrere Minuten darauf hin, dass der Zug bald kommt.
Wir haben noch keine zehn Kilometer hinter uns und sind mit den Nerven schon fast am Ende. Wir verheddern uns bei der Navigation und fauchen uns an. Der Himmel tut es uns gleich und lässt uns mit einem Grollen in weiter Ferne wissen, dass wir uns noch immer in der Regenzeit befinden! In solchen Situationen ist meist ein warung die beste Möglichkeit gegen die fortschreitende Unterzuckerung. Ausgerechnet heut haben wir keinen Bissen vom Essen auf der Fähre mehr anrühren können…
An einer Straßenkreuzung finden wir ein kleines Etablissement. Durch eine enge Tür gelangt man in einen noch engeren Raum. Vor der Theke mit den verschiedenen Schüsseln voll Essen befindet sich eine Holzplatte und davor eine Bank zum Sitzen. Auf der anderen Bank stiert man direkt auf die Blechwand, die mit alten Kalenderblättern vollgehangen ist. Wir bestellen uns eine bunte Mischung und füllen unsere leeren Bäuche. Durch eine kleine, schiefe Holztür gelangt man in das Badezimmer hinter der Küche. Neben der Hocktoilette liegen auf einem kleinen Hocker Zahnpasta und Haarkamm. Ein halber Spiegel steht in der anderen Ecke. Neben der Tür klafft ein größeres Loch. Eine durchgerosteter Bewehrungsstab zeugt davon, dass es wohl mal anders war. Wir überlegen nicht einmal, ob wir mit den hygienischen Bedingungen einverstanden sind. Wir sind so tief in der asiatischen Welt, dass all dies längst völlig normal für uns ist.
Zurück auf der Straße biegen wir in eine kleine Seitengasse ab. Von den tosenden Kolossen ist hier nichts mehr zu spüren. Es wirkt fast angenehm ruhig. Der Weg wird immer kleiner, wenn uns ein Moped entgegenkommt, wird es richtig eng. Neben der Straße und den aufgehenden Häusern plätschert die offene Kanalisation in zwei Kanälen vor sich hin. Die engen Gassen sind belebt, Kinder spielen, eine alte Frau kratzt einen großen Wok aus, zwei Männer sitzen auf einer kleinen Bank und plaudern, während sie genüsslich an ihrer Zigarette ziehen, die bunte Wäsche flattert im Wind.
Am Ende einer der vielen Gassen gelangen wir auf eine größere Straße, die parallel zu einem Kanal verläuft. Wie aus dem nichts geraten wir auf einmal in ein unglaubliches Gewusel! Die Straße ist voll, aber nur halb mit Fahrzeugen, viel mehr schwirren hier unzählige Menschen herum. Kleine Verkaufskarren werden im Slalom um wartende Autos geschoben. Die Läden wachsen mit ihren Ständen in die Straße hinein. Hier und da quetscht sich ein Moped mit übervoller Beladung hindurch. Es gibt hier wohl alles, was man braucht, ein riesiger Markt, Essenstand, Einkaufspark, Werkstatt und zudem halt auch noch eine Straße.
In der nächsten Straße ist es wieder komplett ruhig. Unglaublich, dieser Wechsel zwischen den Extremen, welcher sich durch ganz Jakarta zieht. Wir folgen dem großen Kanal, der unglaublich vermüllt ist und wohl mehr die Kanalisation beinhaltet, als frisches Wasser. Falls es überhaupt irgendwo in Jakarta frisches Wasser gibt. Ein unangenehmer Geruch nimmt den Raum ein.
Am Horizont sieht man das moderne Jakarta in den Himmel ragen, eine Skyline, die es schwer hat sich gegen den Smog in Szene zu setzen. Hier am Kanal ist das komplette Gegenteil zu finden. Einfachste Behausungen, die alle irgendwie zusammengebastelt sind. Doch die Menschen, die wir hier sehen, begegnen uns mit einem so herzlichen und offenen Lächeln und wenn wir sie mit ein paar Brocken bahasa begrüßen, sind sie fast außer sich vor Freude. Wir hören es meist noch ein Stück hinter uns, wie die ein oder der andere freudig die Nachricht verbreitet, was ihm gerade widerfahren ist. Kinder rennen neben uns her und immer wieder hören wir ein lautes „Hello Mister.“
Unsere anfängliche Erschöpfung ist wie weggeblasen. Diese Erlebnisse mit den Menschen sind wie eine Droge, die uns in einen neuen Rausch versetzen. Wir spüren keine Anstrengung mehr, überall geschieht etwas, sodass man keine Zeit hat, über das eigene Befinden nachzudenken. So viele Menschen, die uns entgegenlächeln und die pure Freude ausstrahlen.
So fliegen die Kilometer an uns vorbei und der Kontrast bestimmt die Strecke. Von kleinen Gassen schwappen wir auf autobahnähnliche Schnellstraßen. Wohlhabendere und ärmere Viertel reihen sich aneinander und stets stehen die sterilen, leblosen Straßen gegenüber den bunten, wilden Gassen mit ihren so herzlichen Bewohner*innen.
Es ist eine abenteuerliche Fahrt durch Jakarta, die, wie so oft, eine Achterbahn der Gefühle mit sich bringt. Doch am Ende sind wir mehr als froh, als wir endlich ankommen. Es wird noch einmal suspekt und so gegensätzlich, als wir in einen der vielen Compounds einfahren. Wir passieren eine Schranke mit Wachpersonal und radeln anschließend durch eine Wohnsiedlung zum Haus von Irene. Wären die tropischen Pflanzen nicht im Vorgarten und die Luft etwas klarer, könnten wir auch in Europa sein. Dabei sind wir vor zwei Minuten noch durch eine kleine Wellblechsiedlung gefahren, in die Kinder auf der Straße neben gackernden Hühnern Fußball gespielt haben.
Wir öffnen die Tür, atmen durch und direkt fällt eine ganze Menge von uns ab. Wir genießen eine Dusche, fallen einfach nur noch ins Bett und freuen uns unglaublich über ein ruhiges Zuhause auf Zeit!
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Liebe Radler mit viel Durchhaltevermögen!
Dass die Regenzeit soviel Einfluss auf das ganze Leben in Indonesien hat, war mir gar nicht bewusst. Und Feiertage bringen wie überall auf der Welt das öffentliche Leben zur Ruhe. Man Stelle sich vor, an Weihnachten hier etwas buchen zu wollen…. Über ein europäisches Paar und seine Reise in Indonesien mit der Pelni-Fähre gab es vor einigen Monaten einen Bericht auf NDR 3…. Sehr interessant, ein ganz anderes Welt…. Susanne war von Singapur beeindruckt…. Sie bekommt morgen die 2. künstliche Hüfte…. Haltet durch! Eure Reise zeigt doch immer wieder, dass auf Tiefpunkte wieder positive Erlebnisse und nette Menschen folgen.
Regengrüße aus dem mittelhohen Norden von Renate und Karen 👋👋☔☔💧💧