Wir begeben uns auf eine dreiwöchige Wanderung durch den Himalaya. Die Umrundung des Annapurna Massivs gilt als eine der abwechslungsreichsten und faszinierendsten Trekkingrouten der Welt. Auch für uns ist es ein Highlight unserer Reise. Wir erleben so gut wie alle Klimazonen, erblicken eine atemberaubende Bergwelt, spüren Sonne, Wind, Regen, Hagel und Schnee, lassen uns verzaubern von den kleinen Dörfern und den herzlichen Menschen!

Viel Spaß beim Lesen!

Das Abenteuer bestreiten wir erneut mit Maik & Alina. Es fühlt sich gut an, auf so einer langen Wanderung nicht allein zu sein, auch wenn man auf dieser Wanderung tendenziell nie wirklich allein ist. Die Infrastruktur ist gut und reicht bis weit in die Berge hinein. Alle fünf bis zehn Kilometer gibt es ein Dorf oder zumindest ein tea house. Man muss sich keinen Kopf über die Versorgung machen, selbst auf knapp 4.000 m kann man zwischen Apfelkuchen, Cappuccino, Veg-Burger und Pizza entscheiden. 
Wenn wir an die Zeit in Kirgistan denken, wo wir mehrere Tage völlig auf uns gestellt waren, dann ist dies purer Luxus. Trotzdem ist es sehr beruhigend nicht allein zu sein, denn vor uns liegt ein Pass auf über 5.000 m Höhe und in den Bergen kann immer etwas passieren.

Im Tourismusbüro kaufen wir uns erneut eine TIMS Card und ein Permit für den Nationalpark. Wir gehören zu den letzten, die eine grüne TIMS- Card (Individual Trekking) bekommen werden. Die nepalesische Regierung hat ein Gesetz beschlossen, wonach man nur noch mit einem Guide auf alle bekannten, nepalesischen Treks gehen darf. Dies wird mit mehr Sicherheit für die Reisenden und zur Ankurbelung der Wirtschaft begründet.
Die Argumente mögen gut klingen, doch sie sind für uns persönlich teilweise nicht schlüssig. Die Schwierigkeit der Routen wurde beispielsweise überhaupt nicht berücksichtigt. Die Entscheidung wird vor allem in den Kreisen von passionierten Bergsteiger*innen und Individualreisenden heftig diskutiert.

Wir sind einfach nur froh, die Berge noch auf eigene Faust erkunden zu dürfen, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und unsere eigene Route ganz spontan planen zu können. Trotzdem trifft uns die Entscheidung, stand doch davor eigentlich fest, dass wir auf jeden Fall zurück in dieses wunderbare Land kommen werden. Doch durch die Beschneidung der Freiheit, können wir es uns zumindest momentan schwer vorstellen und dies hinterlässt einen traurigen Beigeschmack. Auch der Langtang Trek im Kathmandu Tal, den wir eigentlich noch ins Auge gefasst haben, bleibt damit erstmal ein Traum, denn mit der Guidepflicht steigen natürlich auch die Kosten einer solchen Wanderung immens.

Vor Sonnenaufgang laufen wir zum Busbahnhof für Tourist*innen. Es gibt einen Bus nach Besisahar. Die Rucksäcke werden aufs Dach geschnallt und dann geht es auch schon los, über den holprigen, staubigen Highway.
Bus fahren gehört in Nepal eher zu den unangenehmen Dingen. Von Beinfreiheit kann man hier kaum sprechen. Die Sitze sind teilweise nicht gepolstert und das Metall bohrt sich in den Rücken, was durch jedes Schlagloch noch verstärkt wird. Durch kratzende Lautsprecher schallen die neusten Hinduhits in ohrenbetäubender Lautstärke und der aufgewirbelte Staub dringt durch offene Fenster und Löcher oder Ritzen im Boden direkt ins Innere. Aus dem Fenster schauen mag man auch nicht so gern, denn da bleibt einem oft nur zu hoffen, dass der überholende LKW, der sich gerade frontal auf einen zubewegt, sich noch rechtzeitig auf seine Seite begibt.

Nach ungefähr sechs Stunden erreichen wir unser Ziel, wo schon die Jeeps auf die Weiterfahrt warten. Die kleine Stadt Besisahar ist der erste Startpunkt für den Trek. Da sich die Straße immer weiter in die Berge frisst, kann man den Annapurna Circuit auch verkürzen und sich die ersten Kilometer mit einem Jeep fahren lassen.
Für uns geht es mit dem nächsten Bus noch ein Stück weiter, bis nach Nadi Bazar. Der Bus ist voll und neben ein paar Tourist*innen, wird er vor allem von Einheimischen genutzt. Wir quetschen uns hinein, sitzen teilweise im Mittelgang auf einem großem Sack Reis und holpern über die nächste Piste. Neben den Nepalhits dringt hier auch das wilde Gegacker kleiner Küken in unsere Ohren, die ebenfalls in einem Karton mitreisen.
Dass wir den Trek nun in Nadi Bazar beginnen, ist eher Zufall. Wir haben lange überlegt, wo wir starten sollen, denn oft wird der erste Teil als Abschnitt beschrieben, der vor allem durch die staubige Straße geprägt ist. Doch auf der anderen Talseite führt eine Alternativroute entlang, die zwar länger ist und auch einige Anstiege mehr bereithält, jedoch ist der Ausblick wohl um einiges schöner als auf der Straße.

Nun geht es also los, unser nächstes, großes Abenteuer!

Es ist Mitte März und die Saison hat noch nicht wirklich begonnen. Wir haben den Weg so gut wie für uns allein. Auch im ersten tea house wirkt der Besitzer eher überrascht, dass wir hier anhalten. Es heißt, dass die Teehäuser ein kostenloses Bett stellen, wenn man bei ihnen Abendessen und Frühstück isst. Eine Win-Win-Situation, denn Hunger haben wir ja eigentlich immer. Vielleicht ist es in der Hochsaison anders, aber wir kommen, bis auf ein paar Ausnahmen, so ganz gut durch den Trek und können unsere Geldbeutel zumindest etwas entlasten. Auch wenn das Essen in den Teehäusern im Vergleich zu Deutschland recht günstig ist, haben wir uns doch an andere Maßstäbe gewöhnt. Auf dem Trek geben wir ca. 35 € pro Tag aus. 75 % davon allein für das Essen in der Unterkunft.

Wir lassen die tropische Vegetation hinter uns und streifen durch subtropische, terrassierte Hänge. Ab und an stürzt ein Wasserfall hinab, auch wenn einige aufgrund der Trockenzeit gerade eher karg aussehen. Den Weg teilen wir uns vor allem mit Hirt*innen, die mal eine oder mal mehrere Ziegen treiben, Träger*innen, die in ihren Körben alles Mögliche transportieren und Schulkindern, die jeden Tag einen unglaublichen Weg zurücklegen müssen.

Vor Millionen von Jahren kollidierten die eurasische und die indo-australischen Kontinentalplatten, die Geburtsstunde des Himalayas. Die Platten sind noch immer in Bewegung, die Berge wachsen also weiter, was sich spürbar in Erdbeben auswirkt. Eine weitere Begleiterscheinung der tektonischen Verschiebungen sind sulfathaltige Quellen: hot springs! Die ersten warten schon kurz vor Jagat auf uns!

Wir überqueren die Schlucht des Marsyangdi auf einer typischen Seilbrücke und blicken schon von oben auf unseren baldigen Spa-Bereich. Neben dem brausenden Gebirgsfluss befinden sich zwei betonierte Becken und ein mit Wellblech überdachter Bereich. 

Wir haben Glück, dass hier gerade eine Gruppe Frauen aus Besisahr ist und sich ein heißes Bad in den Quellen gönnt. Denn eigentlich, wie wir später noch erfahren sollen, muss man dem Bademeister vorher Bescheid geben. Was ja an sich nicht so schlimm wäre, müsste man dafür nicht all die Treppenstufen hoch nach Jagat überwinden. Im Anschluss setzt der Bademeister einen Pfropfen in den Boden und befüllt die Becken mit dem heißen, wohltuenden Wasser. Froh über diesen glücklichen Zufall gesellen wir uns zu den Frauen ins warme Nass.

Nach dem Bad legen sie all ihre goldenen Ketten und Ringe wieder an. Einige gehen zum kleinen Tempel, vor dem tibetische Fahnen wedeln, entzünden ein Räucherstäbchen und streuen etwas zu Essen vor die Gottheiten im Inneren. Sie bieten uns etwas an, doch köstlich ist dieser verrauchte Grießbrei nicht unbedingt. Andere befüllen die Flaschen mit dem heiligen Schwefelwasser oder paffen gemütlich eine Zigarette, bevor sie sich alle zusammen auf den Weg nach oben begeben.

Bevor wir unser Tagesziel in Tal erreichen, holt uns ein kräftiger Regen ein. Komplett durchnässt kehren wir im ersten Teehaus ein und hoffen, dass unsere Sachen bis zum nächsten Tag wieder trocknen.
Am Abend gibt es dann einmal mehr dal bhat, Nepals Speise Nummer Eins. Reis, etwas Currygemüse und eine Suppe aus Linsen. Das Beste daran, es gibt Nachschlag so viel man möchte. Manchmal ist eben Quantität auch wichtiger als Qualität, wobei wir dem dal bhat keinen schwarzen Peter zuschieben möchten, aber sagen wir es so, mit der Zeit wird es eben auch eintönig und es stellt sich täglich die Frage: Will ich satt werden oder lieber mal wieder etwas anderes essen?

Die Landschaft ändert sich mit zunehmender Höhe. Es wird rauer und felsiger. Aus dem breiten Flussbett um Tal wird eine enge Schlucht. Die steilen Felswände schießen empor und wir sehen die Spuren der sich verändernden Bergwelt. Es sind nicht nur die Erdbeben, denen die Menschen hier ausgesetzt sind, es sind auch die Erosionen. Der Himalaya wächst und schrumpft durch den Abtrag von Wind, Regen und Eis.
Ein Teil des Weges ist nicht mehr passierbar, da es hier starke Erdrutsche gab. Wir schauen von der gegenüberliegenden Seite auf das Geröll, aus dem schiefe Strommasten hervorstechen. An einer anderen Stelle wurde einst ein Dorf verschüttet. Beim Überqueren der Hängebrücke erblicken wir halbe Häuser am Abgrund des reißenden Flusses. Die gewaltige Bergkulisse, die wir hier bestaunen, macht einmal mehr deutlich, dass die Natur eben noch immer stärker ist als der Mensch!

In Dharapani biegen wir gen Westen in das Manang Tal ab und lassen den Manaslu mit seinen 8.163 m rechts stehen. Wir treffen auf immer mehr Wandersleute. Der Weg führt über Chame nach Upper Pisang, die Landschaft wird hochgebirgiger, alpiner. Auch wenn wir auf dem Weg nach Pisang noch ab und an durch weiche Wälder spazieren, spüren wir doch immer mehr, dass wir jetzt im Himalaya sind.  

Neben der Schönheit, die die Natur uns hier aufzeigt, wird dieser Trek auch durch kleine, gemütliche, tibetisch angehauchte Dörfer und vor allem durch die Menschen, die hier leben, zu etwas ganz Besonderem.
Oft haben die Eingänge der Dörfer ein großes Tor über die Straße gespannt, auf dem drei kleine Steinhaufen stehen. Die Wände beinhalten Gebetsmühlen. Als wir durch eins hindurchgehen, begegnet uns ein Mann. Er trägt einen riesigen Haufen Blätter auf seinem Rücken. Als wir ihn lächelnd grüßen, steht ihm die Freude ins Gesicht geschrieben und er strahlt uns mit seinen zwei Zähnen im Mund und seinen Schlappen an den Füßen entgegen.

Etwas später im Dorf treffen wir eine Frau, die gerade die Wäsche am Brunnen vor dem Haus wäscht. Daneben spielen die kleinen Kinder, die ältere Tochter trocknet ihre Haare in der Sonne. Das bereits abgespülte Geschirr steht ebenfalls zum Trocknen neben dem Brunnen. Es spielt sich so viel neben der Wasserquelle des Hauses ab. Immer wieder sehen wir, wie kleine Kinder an den Brunnen gewaschen, manchmal auch regelrecht abgeschrubbt, werden. Für uns wird dieser besondere Ort, an dem wir auch unsere Wasserflaschen auffüllen, immer normaler. Doch wenn wir daran denken, wie unser „normaler“ Umgang mit Wasser eigentlich ist, merken wir, wie einfach das Leben hier ist.
Natürlich sehen wir ständig den Unterschied zwischen hier und Deutschland, doch mehr und mehr wird es normaler. Die Menschen leben hier ein so „einfaches“ Leben ohne dies als einfach zu bezeichnen. Sie haben keine Luxusartikel, aber es scheint, als schätzen sie das, was sie haben. Sie erzählen stets gern, dass das Gemüse aus ihrem Garten kommt. Sie leben gefühlt bewusster und strahlen eine Zufriedenheit aus, die man vielleicht in ihrer Gelassenheit wiederfindet. Ob dies in ihren Herzen und Köpfen auch so ist, dass wissen wir natürlich nicht.

Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, doch was wir hier sehen, hat für uns nichts mit Armut zu tun. Doch was ist Armut überhaupt? Sie liegt wohl stets im Auge des Betrachters oder der Betrachterin. Beginnt Armut nicht da, wo man sich Dinge nicht leisten kann, die einen glücklich machen? Wir treffen in Nepal bisher nicht auf die bittere Armut, wo man sich nicht mal die Dinge leisten kann, die man zum Überleben braucht. Wir wollen damit nicht sagen, dass es bittere Armut hier nicht gibt, denn dass es anders ist, werden wir noch erleben. Wir sind uns auch bewusst, dass wir auf dem Trek vor allem mit Nepales*innen in Kontakt kommen, die vom Tourismus profitieren und damit wohl zu den besserverdienenden gehören. Was wir mitnehmen, ist eher die Tatsache, dass die Menschen hier in ihrer Einfachheit wohl eher als arm gelten als ein/e Harz-IV-Empfänger*in in einer deutschen Großstadt, doch wer ist und fühlt wirklich ärmer?

Als wir am Morgen in Upper Pisang aus dem Fenster schauen, überrascht uns eine Winterlandschaft. Ungefähr fünf Zentimeter Schnee bedecken die Bergwelt. Wir warten einfach, bis der Schnee etwas getaut ist und andere eine Spur freigetreten haben. Wir laufen heute nur bis ins nächste Dorf. Als wir uns in Bewegung setzen, beginnt es wieder zu schneien, aber der Weg ist zumindest frei.

Wir erreichen Ghyaru auf 3.700 m. Das kleine Teehaus ist rumpelig, aber gemütlich. Alle sitzen um den rauchenden Kamin herum. Wo anders hält man es auch nicht aus, denn es ist saukalt. Zum Glück gibt es hier eine heiße Dusche, die mit Gas erhitzt wird.

Dadurch, dass sich unsere Etappen immer mehr verkürzen, haben wir viel Zeit in den Hütten. Meistens wird der Ofen erst am Abend entzündet. Bis dahin machen wir Mittagsschlaf, spielen Karten oder gehen, wie in Ghyaru, eine Kleinigkeit essen. Ein Tipp führt uns zwei Häuser weiter zu einer netten Frau, die apple pie frisch zubereitet. Weil es draußen schneit, dürfen wir neben ihr am Ofen sitzen.
Der typische Lehmtandoori mit offenem Feuer erhitzt eine große Gusspfanne mit Öl. Es schneit durch den Schlitz im Dach neben dem Schornstein hindurch. Wenn die Flocken auf den heißen Ofen treffen, zischt es, dazu das Blubbern des heißen Öls. In der Zwischenzeit hat die lustige Frau den Teig geknetet und liebevolle Taschen mit Zimt und Äpfeln, von Plantagen aus der Gegend, geformt. Eine nach der anderen lässt sie sie ins Ölbad gleiten. Der Duft von Zimt und frittiertem Öl steigt in unsere Nasen. Als wir reinbeißen, bestellen wir direkt noch mehr. Am Ende verabschieden wir uns und bestellen direkt nochmal eine große Menge fürs Frühstück!

Der Höhenweg von Ghyaru nach Braka gehört zu den schönsten Abschnitten der ganzen Wanderung. Wir blicken bei bester Sicht auf das Annapurna Massiv, aus dem die Berge Annapurna II (7.937 m) und Annapurna IV (7.525 m) herausragen. Wir befinden uns zwar schon auf einer beträchtlichen Höhe und doch sind die Berge fast doppelt so hoch wie wir. Es ist ein überwältigendes Panorama und als man denkt, dies sei schwer zu toppen, taucht vor uns ein Pinienwald auf. Der Duft versetzt uns ans Mittelmeer und doch blicken wir auf die weißen Spitzen des Himalayas. Unglaublich!

In Braka kommen wir für mehrere Tage in einem gemütlichen Teehaus unter. Es gibt hier alles, was das Herz begehrt und es hat wohl mehr Charme als das überfüllte Manang. Manang, der letzte Ort vor dem Pass mit Internet, mit Wettervorhersage. Der letzte Ort mit medizinischer Versorgung. Ab hier knackt man schon bald die 4.000er Marke und die ö Höhenkrankheit wird immer präsenter.
In Manang gibt es eine Spezialklink, wo in Vorträgen über die Höhenkrankheit aufgeklärt wird. Das Gebäude erinnert jedoch nicht an eine Klinik und passt sich eher dem typischen Dorfbild an.
Die Höhe ist wohl der einzige Schwierigkeitsfaktor der Wanderung, die ansonsten keine Kletterpassagen enthält und technisch nicht wirklich anspruchsvoll ist. Wir nehmen die Höhenkrankheit respektvoll, fast ängstlich, ernst. Ständig hören wir auf unseren Körper. Haben wir Symptome oder sind das einfach nur normale Kopfschmerzen?

Es ist eine schwammige Angelegenheit mit den Symptomen und die Auswirkungen der Höhenkrankheit reichen von leichtem Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen (Akute Bergkrankheit) bis hin zum Höhenhirn- oder Höhenlungenödem als schwere Formen. Wobei diese in den meisten Fällen nur auftreten, wenn man beim Eintreten der Symptome nicht den Rückweg antritt und diese ignoriert. Sobald man in tiefere Gefilde absteigt, legen sich alle Symptome. Es heißt, es ist nicht schlimm die Höhenkrankheit zu bekommen, es ist nur dumm daran zu sterben.
Beruhigend ist schon einmal, dass das Symptom der Appetitlosigkeit nicht eintritt, denn der Hunger bleibt unsere tägliche Konstante.

Die meisten Schreckensgeschichten, die man über die Höhenkrankheit hört, entstehen daraus, dass sich Menschen mit dem Jeep nach Manang fahren lassen und in wenigen Tagen unbedingt den Pass bezwingen wollen. Die fehlende Akklimatisierung und ein viel zu rasches Aufsteigen in ungewohnte Höhen sind die Hauptursachen für die Krankheit. Egal ob man fit ist oder nicht, das Einzige, was hilft, ist sich Zeit zu nehmen.

Diesen Ratschlag befolgen wir buchstäblich und unternehmen von Braga aus verschiedene Akklimatisierungswanderungen, um uns an die Höhenlagen zu gewöhnen. Ab hier erreichen wir nun jeden Tag neue Höhenrekorde. Zuerst wandern wir bei bestem Sonnenschein und klarer Sicht zum Icelake auf 4.600 m. Da es eigentlich nur nach oben geht, eine gute Übung, um den richtigen Atemrhythmus zu finden. Es ist zwar schon anstrengend und man spürt, dass die Luft etwas dünner wird, aber am See fühlen wir uns alle quickfidel. Maik und Bim springen bei den gefühlt sommerlichen Temperaturen sogar mal kurz ins kühle Nass.

Am nächsten Tag geht es für uns zur Milarepa- Cave, die in unseren Augen eher einer buddhistischen Pilgerstätte ähnelt als einer Höhle. Diesmal geht es durch einen duftenden Wald nach oben auf ca. 4.100 m. Wir genießen die Stille und Aussicht auf den Gletscher, bevor uns der aufkommende, kühle Wind lieber den Abstieg antreten lässt. Die gefrorenen Wege haben sich mittlerweile in schlammige Rutschpartien verwandelt. Nach dem rutschigen Abstieg besichtigen wir das alte buddhistische Kloster, welches am Fuße der kleinen Bergkette mitten in Braga liegt.

Der letzte Blick auf den Wetterbericht zeigt ein vier- bis fünftägiges Schönwetterfenster, danach soll sich ein Sturm andeuten. Wir planen drei Tage bis nach Phedi und am vierten Tag über den Thorong La. Wenn alles gut geht, bei bestem Wetter. Die Anspannung steigt! Nervös und vorfreudig verlassen wir das Manangtal gen Norden. Halten wir alle durch? Reicht die Luft zum Atmen? Bleiben wir von der Höhenkrankheit verschont?

Die Wetterkonstante, die uns größtenteils schon die ganze Wanderung begleitet, bestätigt sich auch hier. Morgens ist es schön und gegen Mittag wird es zunehmend schlechter. Die Tage bis Phedi sind nicht anstrengend. Teilweise legen wir nur fünf Kilometer zurück, damit wir nicht mehr als 300 Höhenmeter überwinden und unseren Körper Zeit zum Akklimatisieren geben. Wir erreichen unsere Unterkunft schon nach wenigen Stunden, legen die Rucksäcke ab und spazieren noch ein Stück höher. Frei nach dem Motto: „Walk high, sleep low!“

Mit jedem Tag steigt die Anspannung, ob man es denn nun wirklich schafft oder ob man doch noch umdrehen muss. Zum ersten Mal können wir nicht einfach auf die Zähne beißen und unsere Körper bis zum Äußersten ausreizen. Wenn man so mag, ist man der Höhenkrankheit hilflos ausgesetzt, denn selbst eine lange Akklimatisierung ist keine Garantie dafür, sie nicht zu bekommen. Mit jedem Kilometer, mit dem wir dem Pass näherkommen, steigt die Aufregung!

Wir treffen auf Didak und sind einige Tage mit ihm unterwegs. In Letdar, eine Etappe vor Phedi und somit dem Passtag, entscheidet er wieder abzusteigen. Er hat leichte Symptome der Höhenkrankheit. Er sagt, dass es für ihn kein Problem sei, denn er habe es versucht und er genießt die Wanderung bis hier her und muss es nicht erzwingen. Für uns ist dies wahre Größe, denn umzukehren ist wohl manchmal schwieriger als weiterzugehen.

Am Abend vor dem großen Tag hat auch die Anspannung ihren Höhepunkt. Als dann auch noch ein Pärchen absteigen muss, weil einer der beiden starke Kopfschmerzen hat, kommt noch eine Extraportion Nervenkitzel auf die sowieso schon vorhandene Nervosität obendrauf. Jetzt, so kurz vor dem Ziel? Isi fühlt direkt Schwindel, ist es ein Placebo oder ein Symptom? Was soll das morgen bloß werden? Wir machen die Nacht kein Auge zu, auf gut 4.500 m, all die Gedanken kreisen in uns. Müssen wir umdrehen? Einen Tag warten? Aber dann kommt doch der Sturm!

Am nächsten Tag geht es Isi besser, doch Bim hat plötzlich Durchfall. Ist das jetzt vielleicht auch ein Symptom? Wir fühlen uns trotz Schlafmangel gut und wagen es. Halb fünf gibt es Frühstück, Knoblauchsuppe. Ob Knoblauch wirklich gegen die Höhe hilft, so wie es uns die Nepalesen immer wieder ans Herz gelegt haben, wissen wir natürlich nicht.
Draußen funkeln die Sterne und wir starten mit Kopflampe bei ca. -15° C. Die ersten Meter laufen holprig. Erstmal rein- und die Hände an den Wanderstöcken warm bekommen. Schon nach wenigen Metern sind Bims Finger kleine Eiszapfen und müssen an der Thermosflasche gewärmt werden. Der leichte Wind ist bitterkalt. Freudig erwarten wir die ersten Sonnenstrahlen.

Ab dem Highcamp wird der Trek richtig voll. Aufgrund des Neuschnees der letzten Tage, gibt es jedoch nur eine Spur zum Laufen. Vor uns befindet sich eine riesige Reisegruppe, die extrem langsam läuft. Schritt – Pause – Schritt – Pause! Wir kühlen direkt wieder aus. Wo kommen die denn auf einmal alle her?
An einer günstigen Stelle überholen wir und können wieder unser eigenes Tempo laufen. Das schöne Panorama der schneebedeckten Berge wird bald zur Nebensache. Jeder ist auf sich konzentriert und mit einer idyllischen Wanderung hat dies bei so viel Verkehr nichts mehr zu tun. Neben Trägern für Gepäck, kann man sich hier auch einen Pferdeservice mieten und auf dem Rücken der Vierbeiner über den Pass tragen lassen.

Heute merken wir die Anstrengungen wieder und mit zunehmender Höhe fällt das Atmen immer schwerer. Stück für Stück arbeiten wir uns weiter nach oben. Am Ende brennt es in der Lunge und die Erschöpfung hinterlässt Spuren. Vor uns liegt eine Kuppe nach der anderen, jedes Mal hat es den Anschein, dass vor uns nun endlich der Pass liegt. Jedes Mal heißt es, es geht noch weiter. Wir kommen also doch noch dazu, auf die Zähne zu beißen und unsere letzten Kräfte zu mobilisieren.  
Dann tauchen sie plötzlich vor uns auf. Die bunten, tibetischen Fähnchen liegen im Wind wehend vor uns, eingebettet in eine weiße Schneelandschaft. Die letzten Meter liegen vor uns. Mit Tränen in den Augen nähern wir uns dem Pass. Wir liegen uns in den Armen, die Tränen laufen übers Gesicht, all die Anspannung löst sich. Wir haben es geschafft! Was für ein Glücksgefühl! Wir sind auf dem Thorong La, auf 5.416 m!

Nach der Euphorie kommt der steile Abstieg, der ca. zehn Kilometer und über 1.500 Höhenmeter bergab geht. Bim ist es schwindelig. Es sind wohl leichte Symptome der Höhenkrankheit, denn mit jedem Meter wird es besser. Ein Hoch auf unsere Wanderstöcke, wir arbeiten uns nun peu à peu wieder nach unten. Irgendwann wird der Schnee unter uns wieder zu Matsch und schließlich wieder zu trockenen Steinwegen. Vor uns liegt eine trockene, karge Berglandschaft.

In Muktinath befinden wir uns wieder in einer ganz anderen Welt. Für viele hinduistische und buddhistische Pilger*innen ist es eine der wichtigsten, religiösen Stätten in Nepal. Für uns ist es nach den letzten Tagen ein Ort, um unsere Passüberquerung mit einem Bier zu feiern, eine heiße Dusche und einen guten Kaffee zu genießen. Bei letzterem beobachten wir das skurrile Treiben, der für uns gefühlten Parallelwelt: überall Souvenirstände, Sadhus, unzählige und wohl auch ziemlich faule Gläubige, die sich auf Pferden oder Tragen durch den Ort und die heilige Treppe zum Tempel hinauftransportieren lassen und jede Menge kaputte, aber völlig glückliche Trekker*innen, wie wir, zwischendrin. Am Abend fällt dann alles ab. Keine Gedanken mehr machen über Höhenkrankheit, sondern einfach nur noch tief und fest schlafen.

In den nächsten Tagen wandern wir durch eine trockene, karge Landschaft. Am späten Mittag bis Nachmittag ist dabei ein starker Aufwind, der hier durch das Tal peitscht, unser täglicher Begleiter. Es lohnt sich also mal wieder früh aufzustehen. Wir wandern auf die andere Seite des Tals durch die traditionellen und urigen Dörfer Chongur und Jhong, über dem noch Überreste einer alten Festung thronen. Diese Orte gehören zum kulturellen Erbe vom legendären Königreich Mustang. Um tiefer in das Königreich einzutauchen, benötigt man eine gesonderte Genehmigung, die für 10 Tage utopische knapp 500 € kostet. So bekommen wir zumindest einen kleinen Eindruck vom gesperrten Gebiet, welches an Tibet grenzt. In den Dörfchen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Der Blick ins Tal sorgt dann für ein wenig Abwechslung. Der Kali Gandhaki, die grünen Felder und Obstplantagen strahlen uns in der Ödnis regelrecht entgegen. Wir kämpfen uns bei dem starken Gegenwind nach Kagbeni hinunter. Die Gassen wirken zwar zunächst ganz verschlafen, doch die Unterkunftspreise zeugen dann doch von mehr Tourismus, welcher sich hier hauptsächlich auf die Pilger*innen konzentriert.

Hinter Kagbeni laufen wir das Flussbett entlang nach Jomson, was für viele der Endpunkt der Wanderung ist. In Jomson gibt es sowohl einen Flughafen als auch Jeeps sowie Busse, die für den Rücktransport gen Pokhara sorgen. Wir biegen recht schnell wieder auf die Alternativroute ab und erreichen schon bald das urige Dörfchen Thini.
Der Wind fegt auch hier wieder durch die Gassen, aber dennoch liegt hier eine unglaublich entspannte Stimmung in der Luft. Entspannt geht es auch in unserem Homestay zu, was nicht nur das Zuhause der Familie ist, sondern auch noch ein kleines Restaurant im Keller und einen kleinen Shop zur Straße beherbergt.
Diesmal sind wir bei den Thakali zu Gast, eine weitere nepalesische Ethnie, die einst eine wichtige Rolle im Salzhandel zwischen dem Subkontinent und Tibet spielten. Heute leben sie vor allem vom Tourismus.
Wir verbringen den Nachmittag im Wintergarten, wo wir vom Opa des einfachen, aber sehr gemütlichen Hauses, immer wieder fasziniert bestaunt werden. Als die Sonne durch die Fenster strahlt, positioniert er seinen Rücken in die Wärme. Die Omi rollt sich eine Matte zum Chillen und Eincremen aus, bevor die Nachbarin für einen Plausch vorbeikommt. Wir unterhalten uns ein wenig mit der Tochter, die das Homestay managt. Sie bringt uns nebenbei ein paar Wörter Thakali bei.

Es ist Mal wieder Zeit für einen Landschaftswechsel. Wir können es selbst kaum verarbeiten. Aus der trockenen, kargen Berglandschaft sprießen plötzlich immer mehr Nadelbäume. Wir laufen durch Wälder, schnuppern den sanften Geruch der Tannenzapfen und schreiten über den weichen Boden.
Wir umgehen die Hauptstraße fast vollständig. Entgegen vieler Behauptungen, müssen wir nur einen halben Tag auf der großen Straße zurückzulegen. Teilweise laufen wir über verschlammte Wege und Baustellen, aber größtenteils ist der Weg ein kleiner Pfad entlang der steilen Berge, die mit verdorrtem Gras behangen sind. Wie es hier wohl in ein paar Wochen grünen mag.

In der kleinen Siedlung Sauru, die nur aus ein paar Häusern besteht, kommen wir noch einmal ganz einfach unter. Wir sind allein, abseits der Touristenströme und genießen das hiesige Dorfleben. Ein junge Teenagerin, wurde wohl zur Bespaßung der Kleinen eingesetzt. Sie fährt Runden mit ihrem Fahrrad durch das Dorf, Musik dröhnt durch einen kleinen Lautsprecher. Abwechselnd sitzen die Kinder auf dem Gepäckträger und freuen sich über die Ausfahrt. Später rennen sie dem Rad hinterher. Vielleicht ist es auch der Sportunterricht.

Sauru liegt so gut wie am Fuße des Dhaulagiri (8.167 m). Ein faszinierender Berg, der höchste der Welt, der nicht auf einer Landesgrenze steht.
Da wir schon einmal bei den Superlativen sind. Das Tal, was vor uns liegt, ist mit über 5.600 m Höhenunterschied das tiefste Durchbruchstal der Welt. Der Kali Gandhaki durchschneidet den Himalaya und wird von Annapurna und Dhaulagiri flankiert. Die beiden 8.000er trennen lediglich 34 km.
Naja und einen haben wir noch. Der Thorong La gilt als höchster, dauerhaft begehbarer Pass der Welt. Aber wie es immer so ist mit den Rekorden, es kommt wohl auf die Formulierungen an. Denn es gibt Pässe, die noch höherliegen, jedoch das Prädikat befahrbar vorangestellt bekommen.
Wir machen uns eigentlich recht wenig aus diesen Superlativen und doch muss man sagen, es lässt einen ab und an innehalten. Es sind halt die höchsten Berge der Welt, die uns hier umgeben!

In der kleinen Stadt Tatopani sind wir zurück auf den touristischen Pfaden. Tato – heiß und pani – Wasser, deutet auf das hin, was uns hier erwartet: Hot Springs! Eine Wohltat nach all den Strapazen! Die Namensbedeutung bekommen wir dann auch erst, im heißen Wasser sitzend, von einer netten Omi erklärt. Dann fügt sie hinzu, es sei von Gott gegeben. Ja, der Glaube ist doch überall sehr präsent. Nach dem kurzen Plausch verlässt die Omi das Wasser und geht in den „Saunabereich.“ Mit einer großen Plastiktüte über dem Kopf bzw. Körper sitzen mehrere Leute über einem Eimer mit heißen Schwefelwasser gebeugt. Irgendwie ein amüsantes Bild. Vor allem, wenn dazu noch Hähne krähen und immer mal eine Ziege übers Gelände läuft.

Nach langem Überlegen haben wir uns entschieden den Annapurna Circuit vollständig zu laufen, um auf eine lange Busfahrt zu verzichten und vor allem noch einmal in die grünen Südausläufer eintauchen zu können. Dies bedeutet für uns allerdings auch, dass wir nochmal aufsteigen müssen. Tatopani liegt auf ca. 1.200 m und es geht bis nach Ghorepani gute 1.600 m bergauf. Es ist nochmal eine kräftezehrende Etappe, aber die Schönheit der Natur, die bunten Blüten, grünenden Terrassen und der verwunschene Wald sind Motivation genug.

Langsam müssen wir uns verabschieden von den großen Riesen. Wer weiß, ob wir den höchsten Bergen der Welt jemals wieder so nah kommen werden. Für uns waren es drei unglaubliche Wochen, voller Emotionen, Eindrücke und Erfahrungen, die uns wohl noch lange begleiten werden.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karen Schröder

    lieber Extremwanderer!
    Das sind Fotos einer uns ganz fremden Welt, mit oder ohne Superlativ! Wie gut, dass euch die Höhenkrankheit weitgehend verschont hat! 3 Wochen sind ein intensives Erlebnis, das ihr nun hoffentlich erholsamer verarbeiten könnt …
    Viele Grüße vom sonnigen Kanal im Wonnemonat Mai von Renate und Karen ☀️☀️🦉🦉⛴️⛵🚤🛥️🛳️